Egal, wie hoch ein Mast die Fahne hält
Am Rande des Geschehens, – da passiert die Welt
Vielleicht sollte ich einen schon lange eingemotteten Begriff wieder reaktivieren: „Käseblättken“. Als ich Kind und Jugendlicher war, benutzten ihn die Erwachsenen zur Charakterisierung der Tageszeitung meines Wohnortes. Das kleine „Käseblättken“ in Abgrenzung von den großen Leitmedien: „Spiegel“ für die einen, „Bild“ für die anderen.
Ein Mensch wie der brasilianische Präsident Bolsonaro hat für mich schon deshalb Unrecht, weil er ein scheinsmarter Polit-Gewalttäter ist, der ein ganzes Land zum Selbstbedienungsladen für Natur- und Mensch-Ausbeuter degradiert hat.
Am 31.01. erscheint in unserem „Käseblättken“ eine 63 Seiten starke Sonderbeilage. Der Jahresrückblick. Darin ein prominentes Thema: Der Klimawandel. Er dient immerhin als Titelbild, als Thema des Leitkommentars und als Background für einen zwei-Seiten-Artikel über Greta Thunberg. Direkt nach Putin, Trump und Xi Jinping. Der Tenor ist eindeutig: Die Welt muss sich der Herausforderung „Klimawandel“ stellen und viel mutiger umsteuern, als das im vergangenen Jahrzehnt geschehen sei.
Am selben Tag erscheint in eben diesem Käseblättken auf Seite 1 des Lokalteils ein Artikel über die geplante Abholzung eines 87 Hektar großen Waldgebietes, um Abbau von Quarzsand durch die „Quarzwerke GmbH“ zu ermöglichen. In den Überschriften „Großes Waldgebiet […] soll weichen“ und „[…] weitreichende Folgen für die Natur“ hat man noch das Gefühl, der im Jahresrückblick stolz präsentierte Impetus der Klimaverantwortlichkeit fände hier seine Entsprechung in den Niederungen des Berichtens über Lokalpolitik. Der Eindruck verflüchtigt sich wie der Geruch eines leichten Furzes bei der weiteren Lektüre des Artikels. Ganz „sachlich“, ganz „nüchtern“, beinahe rührend „unschuldig“ desinteressiert an Naturschutz wird hauptsächlich ein Sprecher des Regionalverbands Ruhr zitiert und berichtet: Ein 121 Fußballfelder großes Gelände sei nun vom Regionalverband Ruhr zur Rodung freigegeben worden. Eine Ausweitung des schon bestehenden Abbaugebietes stelle die Geschäfte der Quarzwerke-GmbH für die nächsten 25 Jahre sicher, worüber diese sich sehr freuten. Der Abbau finde dann in unmittelbarer Nähe zu zwei Naturschutzgebieten statt, … usw.
Höhepunkt ist dann der Hinweis, dass „die am Standort Haltern gewonnenen Sande (…) als einzigartiger Bodenschatz“ gelten würden, der besonders für „Gießereien“ und im „Automobil- und Anlagenbau“ wichtig sei.
Ich schließe: Als braver Halterner kann ich sogar stolz sein, dass meine Heimatstadt der Wirtschaft solche Schätze zur Verfügung stellt.
Irritiert vom Lesen denke ich daran, dass Bolsonaro unübertrefflich zynisch verlangte, die Deutschen und die Europäer sollten gefälligst erstmal ihre eigenen Wälder schützen, bevor sie sich um den Regenwald kümmerten.
Und jetzt?
Pflege ich weiter wohlfeil im Gespräch mit Freunden bei einem guten Glas Bio-Rotwein meine Antipathie gegen die Vernichter des großen, großen (600 Millionen ha) Regenwalds weit, weit weg?
Und meine Sympathie für die, die im großen, großen (600 ha) Hambacher Forst aus Halterner Sicht weit, weit weg für dessen Erhalt kämpfen?
Und freue mich, dass ‚mein‘ Halterner Sand so ein wertvoller Rohstoff ist?