Machtwort

Ich kann froh sein. Ich lebe in einer Demokratie. In ihr wird eine sachliche und kritische Informationskultur gepflegt.
Und so erlebe ich, wie in einem seriösen Sender in einer der wichtigsten Sendungen für Informationen und ihre Hintergründe eine hochgeschätzte, vielfach ausgezeichnete Moderatorin am Montag, den 17.10.2022 in der Sendung „Tagesthemen“ einen Politiker interviewt und bin im Wortsinn: Ent-geistert.

Tagesthemen kurz vor der Sendung

Schon der Anfang irritiert mich. Ausufernde Heiterkeit. Zur Schau gestelltes „Off“. Kein Ton. Aber Bild. Der Co-Moderator lacht herzhaft. Und bekommt auch beim Beginn des Jingles, als die Moderatorin sich schon dem Publikum zuwendet, sein Lachen kaum gebändigt.
Ich brauche das nicht, diesen Schein von Privatheit, womöglich, damit es mir inmitten der Dramen der Welt kuschelig bleibt. Aber ich habe mich daran gewöhnt.

Der Aufmacher der Sendung ist eine Entscheidung des Kanzlers in der Causa „Weiterlaufen von Atomkraftwerken“. Schon lange stehen sich unversöhnliche Positionen von FDP und Grünen gegenüber. Die Zeit drängt. Die gesetzlich festgelegte Abschaltung droht. Der Kanzler macht Gebrauch von seiner Richtlinien-Kompetenz.

Frau Miosga moderiert das Thema an. Natürlich fällt das Wort, das schon den ganzen Tag nervt: „Machtwort“. Es winkt die Sehnsucht nach der oder dem Starken, die oder der die Dinge regelt. Im Weiteren dann ihre Sätze: „[…] Doch wo war eigentlich die SPD? Abgetaucht. Der Kanzler hat es […]  bislang gemieden, seinen Koalitionspartnern zu sagen, wo es lang gehen sollte. Doch, – stille Wasser sind offenbar tief. In diesem festgefahrenen Konflikt musste er die aufgehitzten Minister-Gemüter abkühlen und ein Machtwort sprechen […].“

Mehrere Frames werden aktiviert. Einige in den letzten Wochen so oft wiederholt, dass sie selbst informations-scheuen Menschen bekannt sein dürften:
1. Die SPD verweigert Verantwortung („abgetaucht“).
2. Der Kanzler (der Chef eben dieser SPD) greift nicht durch. er lässt den Laden laufen. Er ist ein fader Regierungschef.
3. Die beteiligten Minister waren grenzwertig eskaliert („aufgehitzte“ Gemüter“).
4. Der Kanzler wird erst dann aktiv, wenn es gar nicht mehr anders geht („musste ein Machtwort sprechen“).
Dazu noch:
5. Die Moderatorin informiert nicht nur, sondern inszeniert auf sprachgewandte Art die Nachricht, indem sie z.B. eine Metapher ausdehnt und sprachlich bespielt: abgetaucht – stille Wasser – aufgehitzt – abkühlen.
6. Die Moderatorin ist so gut „im Stoff“, dass sie weiß, dass Ministergemüter „erhitzt“ sind und ein Kanzler gar nicht mehr anders kann.

Nach der Anmoderation folgt ein Zusammenschnitt von O-Tönen von Politiker: innen verschiedener (gegensätzlicher) Couleur. Daran schließt an: Ein Interview mit einem der Hauptakteure: Wirtschaftsminister Robert Habeck.  (Die nun folgenden Aussagen von Frau Miosga sind ungekürzte Original-Zitate.

1. Frage: „Noch am Wochenende ist Ihnen Ihr Parteitag – zähneknirschend muss man sagen – gefolgt und hat den Reservebetrieb von 2 AKW beschlossen, und heute nun weist der Kanzler den Leistungsbetrieb von allen 3 AKW an. Was ist das aus Ihrer Sicht? Eine bodenlose Frechheit?“
Die Moderation versucht die vermutete Erhitzung aufrecht zu halten und zu verschärfen. Sie legt die Vorstellung nahe: Ein Alpha-Tier führt endlich. Aber es führt ein anderes Alpha-Tier, das wiederumg sein eigenes Alpha- Dasein vorher bewiesen hat, indem ihm ein Parteitag gefolgt ist. Letzteres müsste empört sein, weil der Schatten eines größeren Alphas auf sein eigenes kleineres fällt.
Herr Habeck erklärt, dass der Kanzler eine verfahrene Situation aufgelöst habe. Er selbst könne mit der Entscheidung leben und werde dafür werben, damit jetzt konstruktiv zu arbeiten.

2. Frage: „Wie stehen Sie jetzt da vor Ihrer Partei? Ist Ihre Autorität nicht beschädigt?“
Der Interviewte ist nach der 1. Frage nicht auf die Verschärfung eingegangen, sondern hat versachlicht. Also steigert die Moderatorin in der zweiten Frage. Sie wiederholt die vorher indirekt geäußerte Vorstellung nun wörtlich, nämlich dass das zweite Alpha-Tier in seiner Führungsrolle beschädigt sei.
Herr Habeck wiederholt seine erste Replik und ergänzt, dass die Zustimmung des Parteitages nicht so zähneknirschend gewesen sei, wie von der Moderatorin behauptet, dass eine frühere Lösung zwar besser gewesen wäre, dass aber die jetzige Lösung immer noch besser sei, als die sehr viel weiter gehenden Vorschläge der politischen Kontrahenten.

3. Frage: „Aber … (Tonfall hörbar unzufrieden, Stimme hoch) …wie stehen Sie jetzt da? Vielleicht sagen Sie ja auch: Pfff, Gott sei Dank, ich bin erleichtert, Olaf Scholz hat mir `n Gefallen getan, weil er hat das jetzt befohlen, was ich nicht wollte. Freunde bei den Grünen, ich kann gar nichts dafür.“
Wieder versucht die Moderatorin die dem Konflikt ihrer Meinung nach innewohnende Erregung zu steigern und aus dem Interview-Partner ‚herauszukitzeln‘, in dem sie erstens dieselbe Frage („Wie stehen sie jetzt da?“) noch einmal stellt. Zweitens macht sie zugleich den gegenteiligen Gedanken auf. Herr Habeck könne froh sein, die Kompromiss-Lösung nicht gegenüber seiner Partei vertreten zu müssen, sondern er könne sich mit der Autorität des Kanzlers „herausreden“. Die Eskalation durch die Moderatorin besteht darin, dass sie den vorher nur imaginierten Autoritäts-Verlust des Interviewpartners nun selbst formuliert. Drittens wechselt sie in die Umgangssprache, als sie in die Ich-Perspektive von Herrn Habeck wechselt. Sie imaginiert damit Vertrautheit mit seiner Gedankenwelt.
Herr Habeck wiederholt erneut seine vorherigen Antworten, und ergänzt, dass angesichts eines bevorstehenden, möglicherweise in energetischer Hinsicht problematischen Winters eine Entscheidung dringend notwendig gewesen sei.

4. Frage: (Die Frage knüpft an bei der Aussage von Herrn Habeck, er könne mit der Entscheidung „arbeiten“.) „Aber (…zum zweiten Mal beginnt eine Folgefrage mit „Aber“…) wie arbeitet Ihre Partei? Denn wir haben den erbosten Jürgen Trittin gerade gehört. Das Ganze ist ja mit einem Kabinettsbeschluss nicht getan, sondern es bedarf der Zustimmung des Bundestages, und andere Kanzler sind mit ihrer Richtlinien-Kompetenz schon mal gescheitert, weil Fraktionen gesagt haben: Nö, da machen wir nicht mit. Ist das im Bereich des Möglichen? Auch diesmal?
Die Moderatorin erkennt, dass Herr Habeck auf die gewünschte Eskalation nicht eingeht. Sie eskaliert, indem sie vermutet, die Partei, die Herr Habeck vertritt, könnte eine Regierungskrise heraufbeschwören. Wieder verwendet die Moderatorin Umgangssprache bei einer Innenperspektive, diesmal derjenigen der Partei: „“, als ob es eine solche gäbe, – überhaupt geben könnte.
Herr Habeck erklärt, dass angesichts der gerade zu bewältigenden Krisen und angesichts der bisher sehr erfolgreichen Arbeit eigentlich keine Regierungskrise entstehen könne.

5. Frage: „Aber (… zum dritten Mal beginnt eine Folgefrage mit „Aber“ …) es ist doch ein bemerkenswerter Vorgang. Gestern haben Sie drei: Sie und Herr Lindner und der Kanzler abends zusammengesessen, sind ohne eine Einigung auseinander gegangen und heute ordnet der Kanzler per Richtlinien-Kompetenz an, wie es zu laufen hat. Ist das ein Zeichen von Macht oder von Ohnmacht? Und zwar in allerletzter Minute.“
Frau Miosga verfolgt die Spur der Konflikt-Verschärfung weiter, indem sie den Begriff „Ohnmacht“ ins Spiel bringt.
Herr Habeck führt aus, dass die AKW-Frage eine sehr aufgeladene Debatte mit langer Geschichte und viel Identitätsstiftung sei. Es sei deshalb zwar nicht hilfreich, aber verständlich, dass eine Einigung nicht möglich war. Die Entscheidung des Kanzlers sei richtig und gut und nun könne man sich wieder wichtigeren Dingen zuwenden und die erfolgreiche Seite der Regierungsarbeit weiterverfolgen. Das schließe konstruktive Auseinandersetzungen („ich will Schwierigkeiten gar nicht leugnen“) vor dem Hintergrund unterschiedlicher politischer Profile der Parteien ein.

6. Frage: „Ja… (unterbricht, grinst ironisch) …und weil sie so große Dinge (die Moderatorin knüpft bei Herrn Habecks Aussage an, man habe in der Regierung schon große Dinge erreicht…), versteht ja kein Mensch, dass Sie sich so’n überflüssigen Streit leisten. Wieviel Schaden hat das Ganze jetzt angerichtet? Wir stehen vor einer der vielleicht größten Krisen dieses Landes, und die Ampel liefert sich diesen – ja, ich finde: total überflüssigen – Streit, nur um die eigene Partei zufrieden zu stellen, bei der FDP ist es die eigene Klientel. Was, glauben sie, hat das für einen Eindruck gemacht auf die Deutschen?“
Die Moderatorin eskaliert wiederum, indem sie langfristige Schäden imaginiert und die Dramatik einer angesichts von Krisen historischen Ausmaßes handlungsunfähigen Regierung aufruft. Dabei verwendet sie erneut Umgangssprache und bringt ihre persönliche Wertung ins Spiel („[…] ja, ich finde: total überflüssigen Streit […]).
Herr Habeck verkehrt durch Kürze und durch Bestätigen der Moderatorin seine Sachlichkeit in Sarkasmus: „Wahrscheinlich keinen guten. Und genützt hat es auch nichts.“ Mehr sagt er nicht. Ich verstehe das als Versuch, die aus seiner Sicht sinnlose Eskalation auszuhebeln.

7. Frage: „Und was lernen wir jetzt daraus? Wir erinnern uns noch an diesen Beginn der Koalition, da war die Rede von Möglichkeitsräumen (…Anflug von Ironie…), solche Vokabeln gab es da, und einem neuen Politikstil, als die Ampel begann. Was ist davon noch übrig, Herr Habeck?
Nun initiiert die Moderatorin die Vorstellung, dass von der anfänglichen Aufbruchstimmung der Regierung nichts mehr übrig sei. Sie konfrontiert damit ihren Interview-Partner mit der Steigerung von einer einzelnen nicht geglückten Episode zu einer als Ganzes handlungsunfähigen Regierung.
Herr Habeck erklärt, dass von der Aufbruchstimmung noch viel übrig sei, gerade wegen der schon gelungenen Projekte. Diese zählt er in Beispielen auf.

Es folgen noch zwei eher belanglose Fragen und von Herrn Habeck noch einmal eine Aufzählung von gelungenen Projekten.

Ich bin froh, als es endlich vorbei ist. In keiner der Fragen ging es um etwas anderes als um Eskalation., um Konflikt-Zuspitzung und um damit evtl. verbundene Befindlichkeiten. Ich bin genervt. Eigentlich idiotisch. Ich bin doch der mit der Fernbedienung. Ich bestimmte, wie lange ich etwas schaue.
Schon seit Wochen registriere ich immer wieder, dass Moderator: Innen in seriösen Formaten zunehmend genau das pflegen und forcieren, die Eskalation, nicht aber eine Informations-Kultur, der daran gelegen ist, die Sachzusammenhänge, deren Lösung bzw. Gestaltung die Aufgabe von Politik ist, inhaltlich zu klären. Es wird unablässig zugespitzt, forciert, dramatisiert, personalisiert und emotionalisiert. Mich persönlich interessiert – jedenfalls im Zusammenhang mit politischen Fragen – nicht, wie Herrn Habeck zumute ist oder sein könnte. Mich interessiert, welche Vorschläge er und all die anderen haben für die Gestaltung der Zukunft.
Und es werden unablässig Standart-Frames reaktiviert. „Der Kanzler, der sich wegduckt“, „Die aufmüpfigen Grünen“ – wahlweise auch, verknüpft mit heimlicher Häme -: „Die angepassten Grünen“, „Stärke“, „Schwäche“, „Führung“, „mangelnde Entscheidungs-Kraft“, usw.
Die mit der Konflikt-Verschärfung und dem Aufrufen der immergleichen Frames verbundene Arroganz der Moderator: Innen bringt mich auf. In früheren Zeiten nervte mich oft, wenn Reporter: Innen Politiker: Innen mit Unterwerfungs-Haltung  begegneten. Heute nervt mich oft das Gegenteil.

Und ich registriere, dass ich immer weniger weiß, wie ich damit umgehen könnte. Jenseits von unproduktivem Ärger. Außer vielleicht darüber in Ruhe nachzudenken und darüber zu schreiben. Und dabei gleichzeitig zu spüren, wie sinnlos das ist. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass Medienkonsumenten lieber ein solches Interview wie das hier besprochene sehen, als diesen Text hier zu lesen, ist groß.
Katzenjammer droht. Vielleicht sollte ich mit mir selbst ein Machtwort sprechen.