04. Oktober 2018

(Lipari)

Männercrew

Diese Welt kennen wir von vielen Segeltörns. Und doch begegnet sie uns auf unserer Reise hier zum ersten Mal. Männercrews, die im Cockpit einer Segelyacht sich für eine oder zwei Wochen zusammendrängen. Einer dieser Männer hier, einer der wenigen, mit denen man sprechen konnte, hat das, die „heilige Woche“ genannt, die man „von zuhause weg darf“. Die Yacht ist groß genug. Und doch sieht sie zu eng aus. 8 Kerle. Da kommt eine Menge Mensch zusammen.
Die Schwimmstege hier in Lipari drücken die Schiffe mit diesen Crews dicht an dicht aneinander. Nebeneinander. Gegenüber. Mit unserem 10m-Schiff kommen wir uns klein vor. Mit unseren zwei Menschen beinahe unterbesetzt.
Fast alle reden zu laut. Viele rauchen. Regelmäßig platzen kehlige laute Lacher aus den Runden. Wieder eine lustige Segelgeschichte. Seemannsgarn, das sich zu voluminösen Seemannstauen aufbläht und dann wieder wegschrumpft. Je dunkler es wird, um so mehr sind die Geschichten und die Lacher angeschoben von Alkohol. Man merkt an den Versuchen, ab und zu die Stimme zu dämpfen, dass man durchaus etwas von ‚Nachtruhe‘ weiß. Aber dann drücken die Lustigkeit und der Alkohol den Pegel doch wieder hoch.
Russische Crews sitzen auch am späten Abend gerne noch mit den nackten Oberkörpern, die sie den ganzen Tag schon vorgeführt haben. Voluminöse behaarte Wölbungen über rutschenden Turnhosen. Teilrasierte Schädel.
Eine dieser Crews direkt neben uns. Um halb drei am Morgen beginnen sie Wodka-schwangere melancholische Tundra-Schlager zu singen.
Ich würde ihnen gerne gesagt haben, dass ich schlafen will, aber ich habe den Moment verpasst, wo ich es noch ohne Zorn herausgebracht hätte. Dann traue ich mich nicht mehr. Ich wälze Formulierungen auf Englisch. Ich verwerfe aber auch sie. Es war den ganzen Tag unschwer mitzubekommen, dass diese Männer kein Englisch können. Italienisch schon gar nicht.
Als ich mich morgens aus der Koje schäle, liegt einer von ihnen schnarchend auf der Cockpit-Bank. Ich schaue mich um. Aus den anderen Schiffen schleppen sich die ersten Kater mit Gesichtern, die genau so verblasst und zerknautscht sind wie ihre vom Charterunternehmen gestellten Handtücher, zuerst zum Klo und dann zur Dusche. Das Toilettenhaus ist viel zu klein für diese Mengen Mensch. Ich stelle mir den Geruch dort vor und das Aussehen der Kloschlüsseln.
Am Nachmittag nach unserer Ankunft war es einfach fremd. Jetzt am zweiten Tag ist es schon bedrückend. Ich kämpfe mit schweren Schüben vorurteilsverklebter Misanthropie.
Ich sehe nur noch diese überdrehten Großmäuler, dieses lächerliche Seebären-Gehabe von Menschen, die einmal im Jahr ein paar Tage auf einer Segelyacht sind und jetzt so tun, als hätten sie die Weltmeere erobert. Ich sehe, dass all diese Abenteurer es nicht für nötig halten zu grüßen. Wenn schon nicht die Kollegen auf den anderen Schiffen, dann doch wenigstens die vielen Menschen, die hier am Steg für sie arbeiten. Nein, auch die nicht. Gerade die nicht. Am schlimmsten die Russen. Sie furchen mit energischen Schritten und unbewegten Fressen durch einen Tunnel, den sie imperialistisch vor sich über den Steg gezogen haben. Und dann stehen lassen für den Rückweg.
Die Gesprächsfetzen, die man gezwungenermaßen von den deutschen Crews mithört, erzählen mächtige Abenteuerszenarien. Wie einer den und den tollen Spruch gemacht hat. Wie einer die und die heikle Situation beim Segeln bewältigt hat. Wie einer die und die total bescheuerten Fehler bei anderen gesehen hat. Wie einer bei Windstärke 8 mit vollem Tuch von da und da runter gebrettert ist. Mit so und so viel Knoten. Wie einer so besoffen war, dass er das und das. Ich höre das und fühle mich klein.
Als die Kater sich einigermaßen regeneriert haben, kündigt sich Aufbruch an. Unfassbare Mengen Müll werden von Schiffen geschleppt. Blaue Säcke, in denen leeren Flaschen klirren. Wir fragen uns, ob diese Müllberge nur von diesen zwei Tagen stammen, die man hier festsaß.
Beim Abräumen des Frühstückstisches, beim Müll-Wegbringen, beim Aufklaren des Schiffes für’s Ablegen kehrt tatsächlich so etwas wie Ruhe ein.
Dann legen die ersten ab. Mit schneidigen Anweisungen und Antworten, wie sie im Lehrbuch stehen, spielt man Seemann. „BACKBORD-MOORING LOS!!“ Einer beugt seinen für dieses Bücken eigentlich zu dicken Bauch über den Knoten. Es wirkt, als würde er noch ein letztes Mal herunterkommen. Unbeholfene Knoten-Knibbelei. „IST LOS!!“ Skipper, die sich beim Ablegen eine anstecken. „HECKLEINE STEUERBORD LOS!!“. Wir schauen uns verwundert an. Das ist die windzugewandte Leine. Wir hätten vermutet, dass sie die als letzte lösen.
Plötzlich entsteht Verwirrung. Das Schiff bewegt sich vom Steg weg, fährt los. Die Achterleine schwimmt bedrohlich lang im Wasser. Hoffentlich kommt die jetzt nicht in die Schraube. Einer bemerkt das. Lautes Rufen. Schimpfen. Stolpern. Reinziehen. Das Schiff biegt während all dem schon aus der Parkposition. Viel zu schnell. Irgendwie geht es trotzdem gut.
Der schneidige Seemanns-Ton passt nicht so recht zur Unbeholfenheit der Bewegungen. Ein Schiff nach dem anderen verlässt uns. Schicke 15-Meter-Yachten mit „Vollausstattung“. Man ist aufgeregt. Jetzt geht es wieder los. Das Meer ficken. Eine der Crews ist sich nicht zu schade, beim Ablegen die Anlage, die selbstverständlich auch Außenboxen hat, aufzudrehen: Rod Stewart. „WE ARE SAI – – LING: WE ARE SAI – LING“. Wir versuchen nicht hinzuschauen, wenn wir schon das Hinhören nicht vermeiden können und tun es doch.
Wir bleiben zurück. Eingeschüchtert.
Und mit unserem schlechten Gewissen. Wegen unserer Vorurteile über Russen. Wegen unserer heimlich lästernden verächtlichen Kommentare über die Seebären um uns herum. Wegen unserer Misanthropie.
Und ein bisschen besorgt, ob wir „denen“ jetzt wohl öfter begegnen werden.
Am Nachmittag füllt sich der Hafen wieder. Auch Russen sind dabei. Eine der Crews sehen wir abends in der Pizzeria. Sie tunneln an uns vorbei zum Nachbartisch. Sie sind noch sehr jung. Vielleicht hilft mir das. Jedenfalls gebe ich mir einen Ruck und spreche sie an. Auf Englisch. Einer von ihnen versteht tatsächlich. Ich frage sie, wo sie herkommen. Ich soll raten. Ich rate: Russland. Das verstehen alle. Tatsächlich Kontakt. Ein kleines Lächeln huscht durch die Gesichter. Es rettet sich bis hinein in die Begegnungen am Steg.