08. August 2018

Murphy’s law

Um 2:30 klingelt der Wecker. Hätte er gar nicht gemusst. Wir sind eh alle wach. Hohe Wellen mit dem entsprechenden Krach im Schiff in galliger Allianz mit der Sorge, der Anker könnte vielleicht ausbrechen und wir könnten auf die Klippen treiben, haben Schlaf unmöglich gemacht. Klaus gesteht, er habe schon um halb eins gedacht. „Scheiß auf die vereinbarte Zeit. Wir hauen einfach jetzt schon ab.“ Ich gestehe ihm dieselben Gedanken. Vorher hatte ich  doch einen verzweifelten Versuch gemacht und mich schlafen gelegt. Aber zu dem Schiffskrach hatte sich noch laute Live-Musik gesellt, die von irgendwo an Land in die Bucht hineinwehte. Korsischer Folk, schätze ich. Es klang ein bisschen hysterisch.
Gerade habe ich angefangen alles ins Ignorier-Zimmer zu verbannen, als ein Blitz die schwarze Nacht erhellt. Kurz danach an krachendes Gepolter. Oh Gott! Jetzt auch noch ein Gewitter. Ich stürze raus. Kein Gewitter. Ein Feuerwerk. Irgendetwas ganz Besonderes muss hier gefeiert werden. Imponierend die Funken regnenden Krachgemälde vor dem schwarzen Meer und dem schwarzen Himmel, – nur: Ungenießbar! Schließlich stehlen sie die letzten Reste des vor Minuten doch noch erträumten Schlafes. Nach dem Feuerwerk Fortsetzung Folk. Dann Pumm-Ts-Pumm-Ts-Pumm-Ts-Let’s-dance-the-night-away-Gewummer. Alles von weit her und doch laut, schrebbelig und nervig. Halb drei stehe ich dann gerädert tatsächlich auf, aus der Koje, – nicht aus dem Schlaf. Wir hatten beschlossen, nur einen Kaffee zu trinken und dann in die Dunkelheit hinein aufzubrechen. Die Rückkehr von Korsika zurück nach Italien zur Insel Giglio würde Zeit brauchen.
Den Versuch, Kaffee zu kochen gebe ich entnervt auf, weil bei dem Getaumel im Schiff die Koordination von Wasserkessel auf kardanisch aufgehängtem Herd, Thermoskanne, Trichter (Ja! Trichter! In dieser schicken Hochseeyacht gibt’s einen Filter und schicke metallene Warmhaltekannen, nur mit dem Haken, dass der Kaffee neben die Kanne läuft, wenn man den Filter direkt auf sie setzt), Filter, Filtertüte und Kaffepulver schlicht unmöglich ist. Außerdem hat der im Wellengang kochendes Wasser spuckende Wasserkessel kurz vor dem Pfeifen die Flamme gelöscht.
Motorölkontrolle, Kühlwasserkontrolle, Motor an, Navigationsinstrumente an, Anker lichten und ab! Denken wir. Für’s Anker Lichten brauchen wir Licht. Aber der bordeigene große 12-Volt-Scheinfwerfer löst einen Kurzschluss aus. Mit der normalen Taschenlampe schaffen wir es doch, den Anker geordnet hochzuholen und düsen ab. Als sich auf offenem Wasser dann endlich etwas Ruhe einstellt und wir vier, die wir bisher eher schweigend agiert haben, die letzten Reste verzweifelten Schlafeswunsch aus den Augen gerieben haben, machen wir einen neuen Anlauf, Kaffee zu kochen, kriegen aber die Flamme nicht an. In der angespannten und auch ein bisschen ängstlichen Was-alles-schiefgehen-könnte-Dynamik der Nacht entwickeln wir alle möglichen dramatischen Erklärungen dafür und kommen erst spät auf die richtige und eben einfache Erklärung: Gas alle! Klar! Dass auch noch die Beleuchtung des Kompasses an der zweiten Steuersäule kaputt ist, ist schon nur noch eine kleine Randnotiz. Klaus weiß gar nicht, was er zuerst reparieren soll. Klar! Den Herd! Wir brauchen im Moment nichts dringender als Kaffee. Noch immer beherrscht eher gespanntes Schweigen die Szenerie. Es ist einfach merkwürdig in die Dunkelheit hinein über’s Meer in die Große Wasser-Himmel-Schwärze zu fahren und sich nur darauf zu verlassen, dass der errechnete Kompass-Kurs uns in die richtige Richtung führt. Dann ein erster Hauch von Dämmerung. Dann ein Sonnenaufgang über dem Meer. Die Gemüter lichten sich. Das große Lächeln stellt sich wieder ein. Murphy geht schlafen. Hoffentlich tief und lange!