16. August 2018

(Porto Turistico di Roma, Ostia)

 

Beim Wachwerden war es plötzlich klar: Ja, ich möchte schreiben. Ab und zu. Für meinen Blog. Über unsere Reise. Mit dem Wohlgefühl eines schönen Vorsatzes schäle ich mich schon sehr früh aus der Koje. Wie immer setze ich eines dieser Doppelkegel-förmigen Kännchen auf den Gasherd, mit denen man sich im ganzen Mittelraumraum die morgendliche Kammerflimmerbrühe zubereitet, den Herd zusaut, wenn man es wieder mal zu lange auf der Flamme stehen lässt und wie üblich vergisst, beim Abzapfen den Deckel aufzumachen, so dass einige Tropfen neben die Tasse kleckern. Wenn ich vom Pinkeln komme, wird sie leicht röchelnd die Kajüte mit verlockenden Duft füllen.
Die Liebste schläft noch. Ich steige ins Cockpit. Himmlische Ruhe. Mildes Morgenlicht. Ein frischer Tag. Was man jetzt alles Tolles machen könnte. Jede Menge Möglicheiten. Z.B. den ersten Text für den Blog schreiben. Oder dieses Sudoku anpacken, auf dem ich schon so lange herumkaue. Oder das Logbuch auf den letzten Stand bringen. Oder schon mal die Wetterberichte studieren? Oder ein paar Seiten lesen? Ach, – so viele Möglichkeiten! Und doch immer wieder ein „Och, — nööö.“
Mein Blick fällt auf das Stück altes Brot, das schon seit ein paar Tagen unter der Sprayhood herumlungert. In dem Moment weiß ich, was ich mache: Fische füttern.
Gar nicht einfach, von dem brettharten Knochen Krümel in der Größe von kleinen Fischmäulern abzuknispern. Bei den ersten Versuchen rieselt erstmal nur Kleinstgefissel ins Wasser. Dann endlich ein paar kleine Krumen. Eine ganze Weile glotze ich freudig gespannt auf das Fischfutter. Dann macht sich langsam Enttäuschung breit. Kommt keiner. Enttäuscht will ich mich schon abwenden und erneut der drängenden Frage stellen, welche kulturell hochstehendere Beschäftigung jetzt folgen sollte. Da sehe ich plötzlich: Es tut sich doch was!! Und zwar viel!! Unzählige klitzekleine Fischchen, kaum größer als Mückenlarven, nuckeln an den Kleinstbröckchen herum. Das ganze Körperchen eines jeden zittert vor Aufregung. Hmmm! So leckere Häppchen! Sie sind die Babys. Kurz danach die Kinder. 4-5 cm lang. Erst nur 3 oder 4. Sie sind vorsichtiger. Ihnen geistern wahrscheinlich schon ein paar gruselige Geschichten im Kopf herum, die die Alten nicht müde werden zu erzählen. Von bösen Fallen, durch die man glaubt hindurchschwimmen zu können, und aus denen man dann doch nicht mehr herauskommt. Oder von leckeren Würmern, die einem unverhofft vor’s Maul pendeln. Und dann freut man sich und schnappt zu und beißt in etwas Spitzes, Hartes, das unfassbar weh tut im Gaumen. Und im nächsten Moment wird man schon aus dem Wasser gerissen. Die Großen erzählen gerne auch so bescheuerte Abenteuer-Geschichten. Wie sie mal ein merkwürdiges Schwimmwesen verfolgt habe, das mit einem langen spitzen Gegenstand in den Flossen auf sie gezielt habe. Und dann sei dieser Gegenstand auf sie zugeschossen und sie hätten erst im letzten Moment, … und so weiter, und so weiter. Sie würden ältere Großfische aus ihrer Familie kennen, die schwere Narben am Körper trügen von solchen Begegnungen. Nun schwammen da aber diese leckeren Häppchen, und es wurden immer mehr. Und eigentlich war doch weit und breit keine Gefahr zu sehen. Oder? Kommt, lasst uns lieber noch ein paar Kumpels holen, o.k.?!
Und so drehten die 3 oder 4 einfach erstmal wieder ab. Erneut Enttäuschung bei mir. Aber nicht lange. Da kommt eine ganze Meute Fischkinder um die Ecke. Bestimmt 15 oder so. Und das muntere Fressen geht weiter.
Kurz danach die Jugendlichen. Cool. Erstmal gucken. Bloß nicht anmerken lassen, dass man genauso grell auf die Brocken ist, wie das kleine Kröppzeug. Erstmal ranpirschen. Und dann ganz ruhig und lässig mitten dazwischen, immer in Formation. Wir sind die Gang, wir gehören zusammen. Natürlich müssen die kleinen Pissblagen zu Seite. Tun sie auch.
Eine Etage tiefer sind jetzt immer öfter die Ollen auf Streife. Als ob sie lieber mal ein Auge auf diese Halbstarken werden wollten. Machen auf Draufgänger und wenn’s drauf ankommt, schreien sie doch nach Mama und Papa. O.k., – na gut, – wenn man jetzt schon mal hier ist, kann man ja auch den einen oder anderen Happen. Supervorsichtig natürlich. Man weiß ja Bescheid. Und hat sehr schnelle Augen. Sehr schnelle Augen.
Und dann der Chef. Noch eine Etage tiefer. Bestimmt 40 cm lang. Zieht langsam unten durch. Würdigt diese leichtsinnige gefräßige Blase keines Blickes. Die wissen nichts! Nichts wissen die! Da kann man reden und machen und tun … ! Und schon ist er im Schatten unter dem Steg verschwunden. Ich werfe ihm einzelne größere Stücke hinterher. Aber er bleibt verschwunden. Nur die Brocken sind auf rätselhafte Weise immer verschwunden, wenn ich nochmal hinschaue.
Der Clou am Abend. Die Liebste und ich müssen schallend lachen. Wir schlendern nach einer kleinen Passegiata mit Eis und Absacker am Hafenbecken entlang zurück zum Schiff. Unmittelbar vor unserem taucht plötzlich eine Gruppe von den Coolen auf. Schön in Formation wie heute Morgen. Lässig. Und dann das Unglaubliche: Sie heben allesamt die Köpfchen aus dem Wasser und klappen das Maul auf und zu. Eine ganze Weile. „Alter!!!! Was‘ mit Essen??!!“ Wie diese dämlichen Kojkarpfen, die sich vom Fisch-Sein irgendwie schon komplett verabschiedet haben.