Raten Sie mal

Ich stehe vor der Tür des Baumarktes. Rein darf ich nicht. Ich habe keinen tagesaktuellen Corona-Test. Aber die freundlichen Mitarbeiter:innen kümmern sich. Ich sage, was ich will, schon wird die/der entsprechende Spezialist:in aus der entsprechenden Abteilung gerufen. „Kleinen Moment, ist schon jemand auf dem Weg.“
Zum Glück habe ich mich von die/der Sonn:in heute Morgen nicht täuschen lassen und mich winterlich angezogen. Heute Nacht hat es nochmal gefroren. Ich aber friere jetzt nicht.

Während ich auf die/den Spezialist:in warte, schlendert ein junger Mann auf den Eingang zu. Er ist gekleidet, wie heute Moderatoren von Sportsendungen gekleidet sind. Nur ohne das zu kleine Sakko. Weiße Sneaker, aus denen gerade noch der Rand der Sneaker-Socke lukt. Darüber nackte Füße. Eine hellgraue zu kurze Chino, ein geblümtes, sehr enges Oberhemd. Eines, das ich mir nicht mehr leisten könnte. Da würde aus Slim-Fit automatisch Schlimm-Fit. Bei ihm nicht. Er sieht nach TV-Kriterien saugut aus inclusive der dazugehörigen sportlichen Figur. Und er weiß es auch.

So, wie er auf den Eingang zufedert, wie er über die Maske hinweglächelt, wie er mit der Art seiner Annäherung versucht, Sommer-Sonne-Gute-Laune-Stimmung zu verbreiten, ahne ich schon: Er möchte rein, hat aber auch keinen Test. Und grinse. Heimlich. Unter meiner Maske.

„Womit können wir helfen?“, fragt die Mitarbeiterin. „Ja, …“ – er versucht, jovial zu wirken. Mit einem Hauch Flirt. „… raten Sie mal.“ Das geht schief. Sein Versuch, mit Humor ihr Herz zu gewinnen, entgleist in leicht überhebliche Arroganz.

Sie bleibt erstaunlich cool und schenkt mir einen Moment bewundernswerter Schlagfertigkeit: Sie weist mit einer Armbewegung in die sich weit nach hinten öffnende verlockende Welt unendlicher Heimwerk-Möglichkeiten und sagt: „Das kann aber dauern.“

Jetzt muss er doch einfach sagen, was er will. Ob er nicht mal kurz auch ohne Test … ?
Das „Nein“ wird garniert von einer sehr sachlichen Aufklärung darüber, was im Moment erlaubt ist, und was nicht.

Er dreht sich grußlos auf dem Absatz um und will davonschlurfen. „Können wir nicht irgendwie anders helfen?“, weht ihm eine Frage hinterher. Er dreht sich um. „Nee. Fahr ich halt nach Dülmen.“. „Warum nach Dülmen?“. „Da sind die Baumärkte offen. Anderer Kreis.“ Er versucht, wie ein Sieger zu wirken. Gelingt semi.

Ich bin immer ein bisschen skeptisch, wenn mal wieder jemand nach Einheitlichkeit ruft. Ich weiß manchmal nicht, ob sie nur dem Impuls dient: „Ich mache nur, wenn alle müssen. Sonst bin ich sauer.“ Und dieser Impuls ist vergiftet. Da geht es dann schnell nicht mehr um Lösungen, sondern um Regeln, Autorität, Nicht-selber-denken, Nicht-selber-verantwortlich sein.

Heute aber – jetzt gerade – finde ich sie doch irgendwie auch gar nicht so schlecht.