27. September 2018

(Messina)

Neptun Messina

Angsthase! Pfeffernase! Morgen kommt der Osterhase!
Neptun. Er kann nicht nur Stürme entfachen. Er kann sie auch beruhigen. Auch in uns. Er steht zum Glück direkt am Hafen. So beginnen wir unter seinem Arm zu reden. Gehen in Gedanken noch einmal zurück zum Morgen.
Heute wieder ein Abschied. Marion und Martin werden den zweiten Teil ihres Urlaubs antreten. Noch eine Woche Tropea.
Der Wind scheint sich so weit beruhigt zu haben, dass wir die Überfahrt zurück nach Messina wagen können. Auch die Wetterberichte und der Ormeggiatore halten es heute für möglich. Morgen eher wieder nicht mehr.
Wir studieren die homepage mit der Strömungsvorhersage für die Straße von Messina. Sie ist in den nächsten 3 Stunden noch günstig für die Überfahrt nach Messina. Danach ist sie extrem ungünstig. Strom gegenan mit z.T. mehr als 3 Knoten.
Der aktuell milde Wind, die Strömung, – … plötzlich ist klar, dass wir uns den ruhigen Abschied mit traurigem Winken auf dem Bahnsteig genau betrachtet eigentlich nicht erlauben können, wenn wir nicht eine weitere Nacht in diesem unwirtlichen Hafen verbringen müssen wollen.
Also ein eiliger Abschied. Von unseren Freunden und von hier.
Von Anfang an ist mir mulmig. Ich glaube nicht der trügerischen Windruhe. In den letzten Tagen ist der Wind am Morgen erst wild gewesen, hat sich dann beruhigt und ist am Mittag umso heftiger zurückgekommen. Trotzdem brechen wir hastig auf.
Kaum sind wir draußen, frischt der Wind auf 6-7 Bf auf. Wir kämpfen mit dem Wind.
Ich kämpfe mit meinem Gemüt. Nein. Eigentlich kämpfe ich nicht. Ich habe schon vor dem Kampf aufgegeben. Ich habe Angst. Weiß mich kaum zu verhalten. Ich schrumpfe zusammen auf einen kleinen engen Knoten. Tief unten irgendwo in meinen Gedärmen. Schaue mit Grauen auf die höher werdenden Wellen. Auf den Windmesser, der immer neue beänstigende Zahlen auswirft. Versuche verzweifelt den wieder sehr lebhaften Schiffsverkehr zu beobachten. Reden geht nicht. Die Angst ist so groß, dass ich sie nicht benennen kann. Als wollte ich sie so aus dem Leben bannen.
Wo sie doch schon längst ist.
Dauernd phantasiere ich Schreckensszenarien. Der Motor fällt aus. Wir können nur noch vor dem Wind ablaufen. Wir treiben irgendwo auf. Schiffbruch. Wir produzieren Bruch im Hafen.
Die Liebste behält kühlen Kopf.
Irgendwann kommen wir an. Mit der Ankunft in Messina beruhigt sich der Wind. Ulrike hat über Funk um Unterstützung gebeten beim Anlegen. Ich hielt das nicht mehr für nötig. Genauso irrwitzig wie die Angst. Der Strom drückt uns mit Macht in den Hafen. Hier können wir gar nicht ohne Hilfe anlegen. Und es wird dann auch richtig kompliziert. Zum Glück helfen die Ormeggiatori nicht nur. Sie steuern das Ganze. Zum Glück ist die Liebste hellwach.
Ich bin ja nur der kleine Knoten.
Während des ganzen Nachmittags treibe ich vor meiner Angst her. Es fühlt sich an wie ein schlimmer Kater.
Erst am Abend können wir reden.
Richtig sortiert kriege ich, was ich heut Nachmittag erlebt habe, nicht. Ich kann nur Elemente benennen. Meine Angst hat etwas Vegetatives. Etwas Traumatisches. Als hätte es irgendwann eine schlimme Angst gegeben, die in mir weitergärt, ohne dass ich wüsste, was für eine es wäre und woran sie sich einst entzündete.
Sie ist unselig verknüpft damit, dass ich glaube, mir Angst eigentlich nicht erlauben zu können. Als Mann nicht. Schon gar nicht als Segler. Als SeeMann. Da sollte ich groß, stark, bärtig, entschlossen und mutig sein.
Sie ist unselig verknüpft mit der tiefen Überzeugung, dass irgendwann auffliegt, dass ich eigentlich gar nichts kann. Bei allem, was ich tue. Auch und schon gar nicht bei schwerem Wetter sicher und mutig eine Yacht führen. Dass es eigentlich wahnsinnig ist, dass so ein Weichei wie ich sowas überhaupt macht.
Sie ist unselig verknüpft mit der Not, dass all dies im Rucksack mir verbietet, um Hilfe zu bitten. Denn ich müsste es ja alles alleine können. Als mutiger Segelprofi.
Sie ist unselig verknüpft mit magischem Denken. Wenn ich dies oder jenes getan oder gelassen hätte, wäre jetzt dies oder jenes kein Problem. Wenn ich mehr trainiert hätte, mich in schwerem Wetter zu bewegen, hätte ich jetzt keine Angst. Aber jetzt ist es ja zu spät. Wenn ich ein richtiger Mann wäre, hätte ich sowieso keine Angst. Oder hätte entschieden und wissend heute Morgen gesagt, dass wir nicht auslaufen. Als autoritärer Skipper. Aber jetzt ist es ja zu spät.
Natürlich fällt der Motor nicht irgendwann aus, sondern jetzt. Jetzt – wo es besonders gefährlich wäre. Möglicherweise gab es auch schon Anzeichen. Hat er sich nicht gerade ganz anders angehört? Gleich wird der Windmesser bestimmt die magischen 30 Kn übersteigen. Und dann nähert sich das hier einem richtigen Sturm. Hier in der Straße von Messina ist alles möglich. Und Du hast wieder nicht die richtigen Informationen. Du hast nicht die richtigen Leute gefragt. Du hast Dich vor der Reise nicht vernünftig informiert. Du hast nicht dafür gesorgt, selbst ein Wetterexperte zu sein. Wie alle anderen Segler*innen. Du kannst ja nicht mal eine normale Wetterkarte lesen.
All das sitzt schmerzhaft zusammengequetscht als Knoten in meinen Eingeweiden und macht den Rest von mir als einsame Hülle hilflos.
Es gibt auch eine Verbindung zu meinem Vater. Ich weiß aber nicht, welche. Er scheint mir ein furchtloser, gestandener und entschiedener Mann gewesen zu sein. Ich habe aber keine Erfahrungen, die mir das erlebt belegen. Auch keine Erzählungen. Er hat eine lebensgefährliche Kriegsverletzung erlitten. Als 17-Jähriger. Ich weiß davon aber so gut wie nichts. Jedenfalls nichts von Angst. Ich weiß nur Erzählungen, die bei jedem Mal der Wiederkehr eine andere Färbung angenommen haben.
Ich weiß, dass ich einmal als vielleicht 7 oder 8-jähriger Junge vom Küchenfenster aus ein Gewitter habe aufziehen sehen. Bei den ersten Blitzen habe ich mich furchtbar erschrocken. Meine Mutter sagte dazu seufzend: „Ja, wer weiß, vielleicht geht jetzt die Welt unter.“ Ich weiß, dass in mir etwas regelrecht zerplatzte. Ich rannte in mein Zimmer. Was ich dann tat, weiß ich heute nicht mehr.
All das fördern die Fragen der Liebsten zutage. Ein Gedanke von ihr ist eine Art erste Hilfe: „Dein magisches Denken ist ein bisschen verrückt, denn eigentlich kannst du entweder alles, was du brauchst, um das hier zu bewältigen. Oder du kannst etwas nicht: Dann kannst Du Dir Hilfe organsieren.“
Es ist nichts gelöst. Aber der Kater ist vorüber. Ich gehe später am Abend wieder zuversichtlich auf dieses Schiff zu. Ich bin ihr sehr dankbar.