06. Oktober 2018
Lipari – Vulcano – Salina
Ein traumhafter Scheißtag. Wie er schon anfängt! Im MorgenGrauen werde ich wach. Wälze unruhig gallig bohrende Gedanken. Ich weiß nicht, ob ich wach werde, weil ich diese unruhigen Gedanken in mir trage, oder ob ich wach werde und dann selber die Geister der Nacht rufe mit ihren schwefeligen Gedanken im Gepäck. Ist auch egal. Es nervt.
Wir hatten vor, uns noch einen weiteren Tag Ruhe und Erholung von dem wilden Weg hierhin zu gönnen. Die Anspannung, die wir auf diesem wilden Weg gespürt haben, hat uns nicht verlassen. Wir haben oft schweigend unserem inneren Brüten nachgehangen. Sind viel gelaufen. Haben Bruchstücke von Sätzen gesagt, die versuchten zu verarbeiten. Nicht nur die Anspannung des Weges hierhin. Auch all das, was das Stürmen in Reggio di Calabria, der stürmische Weg nach Messina, der Weg hierhin, die Stimmung hier im Hafen und das Wetter in uns ausgelöst haben. All das kriegen die Liebste und ich jede(r) für sich nicht zu fassen. Und schweigen. Und ein(e) jede(r) von uns versucht, die Quälgeister in sich selbst zu zähmen.
Heute Morgen frage ich mich, ob es wirklich gut ist, hier noch einen weiteren Tag vor sich hin zu brüten. Ist es nicht besser, sich einen Ruck zu geben, sich wieder auf den Weg zu machen? Vielleicht irgendwo an einer schönen Stelle zu ankern? Vielleicht einen anderen schönen Hafen auszumachen? Die Liebste wollte doch so gerne Vulcano sehen. Vielleicht sollten wir dort sogar an Land z.B. die warmen Quellen erleben, die dort der vor sich hin brütende Vulcan aus der Erde drückt.
Kaum ist die Liebste aufgestanden, offenbare ich ihr meinen Gedanken. Sie stimmt zu. Zweifelnd. Das weckt meine Zweifel. Aber ich sage sie nicht. Also brechen wir tatsächlich auf. Das Wetter ist sehr gut. Der Wind lässt sogar schönes Segeln zu. Anfangs. Schnell nähern wir uns der Insel Vulcano. Schweigen weiterhin. Ich bin aufgewühlt. Ich hatte mir Aufbruchstimmung erhofft. Rückkehr zu der glücklichen Gelassenheit der Wochen, die hinter uns liegen. Sie stellt sich nicht ein. Ich schweige nicht mehr. Ich brüte. Die Liebste hatte angedeutet, sie habe zu unserer aktuellen Verfassung noch eine weitere Idee. Ich warte darauf, dass sie sie offenbart. Tut sie aber nicht. Ich will aber auch nicht wieder derjenige sein, der anfängt.
In dieser Stimmung segeln wir zwischen Vulcano und Lipari. Faszinierende Blicke öffnen sich uns.
Aber sie sind nicht für uns. Sie sind nur für sich selber. Wir graben in anderem Gelände.
Einer dieser unglaublich schönen Blicke zeigt mir den Vulkan auf Vulcano. Er ist eher flach. Aus seiner Öffnung quillt weißer Dampf. Der Blick begeistert mich aber nicht. Er befördert eher meine Bitterkeit. Als wäre dieser Vulkan eine höhnische Darbietung unserer Verfassung. Er dampft, ohne dass sich der Rauch bewegt. Er brodelt. Wir sehen es aber nicht. Tief drinnen ist er aktiv, aber er bricht nicht aus.
Wir schieben langsam in eine Bucht. Hier könnten wir ankern. Aber wir bringen die Entschlossenheit nicht auf. Mit dem, was uns an Austausch noch möglich ist, wimmeln wir ab. Wir haben West-Wind heute Nacht. Die Bucht ist nach Westen offen. Das wird unruhig. Lieber nicht. Entschieden unentschlossen drehen wir um. Schieben auf die andere Seite der Insel. Auf dem Weg dorthin rufen wir den Hafen der Nachbarinsel an. Salina. Ja, dorthin können wir. Wir buchen einen Hafenplatz. Dann erreichen wir die Bucht auf der Ostseite von Vulcano. Wir haben die Information, dass das Gelände mit den Ankerbojen, die hier ausgelegt sind, schon geschlossen ist. Vor ein paar Tagen noch hätten wir hier einfach festgemacht und uns ein wenig auf der Insel umgesehen. Wären einfach das Risiko eingegangen, dass sich vielleicht jemand beschwert, dass wir an seiner Boje hängen. Wären wir eben wieder weitergefahren. Jetzt tun wir es nicht. Gerade wollen wir abdrehen, da schießt ein Schlauchboot auf uns zu. Ein Ormeggiatore bietet uns eine Boje an. Ist hier doch noch nicht zu? Wir könnten annehmen. Aber wieder steht uns die Unentschlossenheit im Weg. Wir haben ja den Hafenplatz in Salina festgemacht. Da jetzt wieder anrufen? Ach nee. Wir lehnen ab und drehen. Die Vulkane in uns drücken weiter. Inzwischen ist der Wind ganz eingeschlafen. Die Segel schlackern mit agressiver Unlust. Nutzloser Beschläge-Lärm. Produziert von Wellen, aber nicht von Wind. Der innere Druck steigt. Die Liebste möchte mich aufheitern und schlägt vor, dass wir ein wenig ankern und schwimmen gehen. Das hätte ich doch heute Morgen auch vorgeschlagen. Ob ich dazu nicht Lust hätte.
Der Vulkan bricht aus. Ich schnauze herum. Nein, ich habe keine Lust. Ich hab zu gar nichts Lust. Ich will einfach nur ankommen und vom Schiff. Ich hasse, dass ich, dass wir einen ganzen Tag unseres Lebens mit Dickluft verschleuder(n) und schäme mich und hasse das auch und kann nicht anders.
Wir reißen die Segel herunter und motoren schweigend nach Salina. Ein wenig lichtet sich das Brüten, als wir in den Hafen einbiegen. Er ist fast leer. Keine einzige Männercrew. Schon gar keine russische. Ein überaus freundlicher Ormeggiatore empfängt uns und hilft beim Festmachen. Kaum fest, schnappe ich Badehose und Handtuch. Ich habe beim Annähern direkt neben dem Hafen einen kleinen Strand gesehen. Noch ist da Sonne. Da will ich hin. Wortlos.
Die Liebste schaut mir beim Absteigen zu. Dann sagt sie, ob wir nicht jetzt mal Frieden machen könnten. Liebevoll sagt sie das. Wir könnten uns doch trotz allem einen schönen Abend machen. Ich antworte schon nicht mehr haltlos mürrisch. Ja, können wir, aber jetzt gehe ich erstmal schwimmen. Danach kümmern wir uns um den Abend.
Mein kleiner Ausbruch hilft mir. Das Meer. Das Schwimmen. Das Stapfen durch heißen schwarzen vulkanischen Strandsand. Das Trocknenlassen auf dem angenehm warmen Pflaster der Pier-Reste neben dem Strand. All das holt mich zurück in das Leben jetzt. Währenddessen verkriecht sich die Sonne langsam hinter die Hügel.
Ich gehe zurück. Wir lächeln einander etwas unbeholfen an.
Die Liebste fragt, wie wir denn jetzt mal den Abend angehen. Ich schlage vor, dass wir zuerst mal eine Bar suchen, wo wir ein Glas Wein kriegen. Dass wir dann noch einmal einen Versuch machen zu sagen, was eigentlich los ist mit uns. Aber Klartext. Kein Geeier. Sie stimmt zu.
Wir brechen auf. Landfein. Unmittelbar neben dem Hafen sehen wir einen kleinen Laden. „Terre di Salina“. Eigentlich sieht er nicht aus wie eine Bar. Aber es stehen zwei kleine Tische draußen. Beide besetzt. Schade. Ein Mann bringt gerade zwei Gläser an einen der Tische. Man plaudert ein wenig. Wir schauen uns um. An einer Seite der kleinen Piazza vor dem Laden steht eine Bank. Dort können wir doch hin! Kurz entschlossen – es geht also doch noch – gehen wir zu dem Laden und fragen, ob wir zwei Gläser Wein bekommen und damit auf die Bank da vorne … ? Certo!
Die Bank ist gut für uns! Für das, was wir vorhaben, möchten wir ja gar keine Zeugen am Tisch nebenan.
Die Bank heißt fortan „Tachelesbank“. Denn wir reden tatsächlich klar und offen. Und tief. Was wir alles voneinander erfahren aus den letzten drei Tagen! Vieles davon ist gegensätzlich. Vieles davon gleich. Ich beschwere mich z.B. über einen Gesprächsversuch am Vorabend. Wir redeten über die Angstfahrten. Meine Angst vor Messina. Die Angst der Liebsten vor Lipari. Heute auf der Tacheles-Bank beschwere ich mich, dass ich das Gefühl hatte, beim Reden am Vorabend sei die ganze Zeit in der Liebsten noch ein Parallelfilm abgelaufen. Fliehende Blicke. Zögernde Worte. Ich wüsste aber nicht, welcher. Ich erfahre, dass die Liebste sehr verunsichert ist. Warum ich auf der Fahrt nach Messina so den Boden unter den Füßen verloren hätte und auf der Fahrt nach Lipari dann so sicher gewesen wäre. Die Vorstellung nicht zu wissen, wie ich wohl bei der nächsten schwierigen Situation wäre, mache ihr Angst. Sie habe das aber so nicht sagen wollen, um mich nicht zu verletzen. Der zweite Film.
Wir reden über Heimweh. Darüber, dass wir Sorge haben, dass die Zeit der Unbeschwertheit vorbei sei. Und die Zeit der Ungemütlichkeit, der Sorgen da. Und darüber, dass wir beide Angst haben, unser zielloses Schweigelaufen sei Ausdruck von Langeweile zwischen uns. All das und vieles mehr kommt auf die Bank. Die Tachelesbank.
Als wir zurückgehen zum Laden, sind die Gäste weg. Der Besitzer empfängt uns in der Tür. Er lächelt. Als wüsste er, was da gerade auf der Bank passiert ist. „Ancora tuto bene?“ Wir kommen ein wenig ins Gespräch. Es ist erstaunlich ruhig. Offen. Einfühlend. Wir erfahren, dass er Bartholo heißt und auf der Insel geboren ist und vieles mehr. Er erfährt von unserer Reise. Wir stehen noch eine ganze Weile da. Er fragt, wie lange wir bleiben. Wir wissen es noch nicht. Na, dann könnten wir doch morgen zu einem Fest in Valdichiesa kommen. Das sei so 10 km entfernt von hier. In den Bergen. Dort sei morgen ein Erntedankfest. Er sei auch da. Mit der Familie. Dort könnten wir doch auch …
Ja, sagen wir, gute Idee. Vielleicht machen wir das wirklich.
Beim Gehen fällt uns noch ein: Ob er nicht einen Tipp hätte, wo wir jetzt essen gehen könnten. Certo. Er schickt uns zu einem Restaurant. Es ist wundervoll. Es gibt zwei Etagen. Wir sind die einzigen Gäste. In der oberen Etage steht ein Klavier. Darf ich? Certo! Ich klimpere ein wenig herum. Das ganze Restaurant strahlt mit jeder einzelnen Person und mit jedem einzelnen Gegenstand „Einladung“ aus.
Zwei sehr junge Männer bedienen uns. Ihr Lächeln ist professionell. Und dann haben aber beide so viel Spaß an ihrem Lächeln und unserem Zurücklächeln, dass es sich einem Lachen nähert. Als würden wir alle über das Lächeln lächeln. Wie sehr wir erleichtert sind, können sie nicht wissen.
Glücklich gehen wir nach Hause. Zu unserem Schiff. Da sind wir wieder. Die Silhouette am Bug, … die heruntergeklappte Badeplattform, die beiden Steuerräder, … ist das nicht auch ein Lächeln?