Assist

Ich gebe das Auto ab. Inspektion. Nehme die Schlüssel des Leihwagens in Empfang. Suche das Gefährt auf dem Parkplatz. Komisch, hier steht nirgendwo so ein Kleinwagen, wie er angekündigt war. Also betätige ich den Autoschlüssel mit der Fernsteuerung des Schlosses. Das Auto, das mich mit freundlichem Blinken willkommen heißt, steht schon an der Einfahrt bereit. Es ist alles andere als ein Kleinwagen. Schon beim Einsteigen merke ich: Es ist nagelneu und hat jede Menge Schnickschnack, den ich nicht kenne. Beim Einlegen des Rückwärtsganges öffnet sich auf dem Bildschirm in der Mitte der Armaturenkonsole ein Bild vom Gelände hinter mir. Zwei Linien zeigen mir den Weg an. Sie verändern ihre Biegung je nach Lenkradeinschlag. Ich drehe mich trotzdem lieber um. Altes Misstrauen gegenüber Kamera-Bildern.
Auf der Fahrt möchte ich wie gewohnt den Tempomat einschalten. Finde ihn nicht. Kann auch nicht suchen. Muss ja fahren. Sehe beiläufig einen Schalter mit der Bezeichnung „Assist“. Drücke ihn. Merke keine Veränderung. Der Tempomat jedenfalls funktioniert nicht. Suche weiter. Einen Schalter mit einem stilisierten Tacho oder so. In einem kurzen Moment, in dem ich erneut zwecks Suche den Blick von der Straße nehme, zuckt plötzlich das Lenkrad. Ich erschrecke. Erinnere mich aber wieder. Das hatte ich doch schon mal in einem anderen Leihwagen: Spurhalteassistent.
Irgendwann finde ich doch den Tempomat und gleite vor mich hin ohne dauernd mit dem Fuß die Geschwindigkeit kontrollieren zu müssen. Hänge meinen Gedanken nach. Plötzlich nimmt der Wagen selbstständig Tempo weg. Im Display am unteren Rand der Frontscheibe, das ich jetzt erst bemerke, erscheint ein stilisierter Fahrweg. Sofort begreife ich. Das Auto hält von alleine den gebotenen Abstand zu dem LKW in einiger Entfernung vor mir ein. Ich bin begeistert. Tolles Feature! Sofort tanzen die Gedanken. Wieso ist das eigentlich nicht Pflicht-Bauteil in Autos? Ohne die Möglichkeit, es per „Assist“-Schalter auch wieder zu entriegeln? Oder wenigstens mit einem nervigen Warnton, wenn es nicht eingeschaltet ist. Wie beim Sicherheitsgurt. Stelle mir vor, wie eine Runde hochkarätiger Entwicklungs-Ingenieure, Vorstände, Abteilungsleiter – alle männlich natürlich – besprechen, mit welcher Begründung sie empfehlen, dieses absolut geniale Sicherheits-Tool nicht zur selbstverständlich dauerhaft arbeitenden Schutzfunktion zu machen. Ohne Abschaltmöglichkeit.
Finde keine.
Als ich ansetze, den LKW zu überholen, gibt das Auto selbstständig wieder Gas. Ein längeres Stück gerade Straße liegt vor. Kein Verkehr. Eine gute Gelegenheit mit diesem Spurhalteassistenten zu spielen. Hochgradig unvernünftig, aber jetzt gerade mal einfach zu verlockend. Ich lasse das Lenkrad los. Plötzlich erscheint im Display eine Warnleuchte.

Warnleuchte

Ich stutze. Was soll denn jetzt dieses Bernhardiner-Icon mit Schweinsnase? Gibt es da eine mir unbekannte „Achtung-Hund-im-Kofferraum-ungesichert“-Funktion? Quatsch. Plötzlich durchzuckt mich: Das ist gar kein Hund. Ach du Schreck! Maske vergessen! Während ich noch über mich selber lache, dass es so lange gedauert hat, bis mir klar wurde, dass ich im Auto keine Maske brauche, probiere ich wieder, das Lenkrad loszulassen. Erneut erscheint das Bernhardiner-Icon. Diesmal schaue ich genauer hin. Neben der Warnleuchte steht ein Schriftzug:

Warnhleuchte Lenkrad festhalten

Ich kann es nicht lassen und probiere, die Warnschrift wieder aufleuchten zu lassen. Sie erscheint auch. Aber in einer anderen Farbe und mit leicht anderem Text.

Warum, weiß ich nicht.
Werde ich beobachtet?
Egal – ich spiele weiter. Ob das Lenkrad wohl merkt, wenn ich nur mit einer Hand anfasse? Kurz danach muss ich die Testreihe abbrechen. Ich muss etwas anderes machen. Der Hintern wird bedrohlich heiß. Ich muss die Sitzheizung herunterregeln. Ist wohl noch von meinem Vorgänger. Wer lässt sich denn bitte so den Hintern grillen!? Als ich den Schalter endlich gefunden habe, bin ich da.
Beim Aussteigen male ich mir aus, das Auto würde mich verabschieden. „Tschüss Martin, bis gleich.“ Darüber vergesse ich abzuschließen. Plötzlich höre ich ein Flappen, drehe mich um, sehe wieder das freundliche Blinken. Dabei legen leise surrend die Außenspiegel die Ohren an. Das Auto schließt sich selber ab.
Als ich es am nächsten Tag wieder abgebe, bin ich ein bisschen trist. Diesen ganzen Schnickschnack hätte ich auch gerne. So schnell geht das …