12. September 2018

(Palinuro)

Freunde sind wir nicht geworden. Das Städtchen Palinuro und wir. Ich gebe zu, das Städtchen hat’s nicht leicht gehabt mit uns, – nach Agropoli und Ogliastro. Aber es hat es auch nicht versucht mit uns. Die ormeggiatori eher gelangweilt, – fast ein bisschen mürrisch. Wortkarg. Bemüht mit einem Minimum an Kontakt uns in Empfang zu nehmen, um möglichst schnell wieder zurück zu kommen ins Hangin‘around im Schatten beim Hafenbüro.
Schon beim Anlegen ist klar: Die Pier ist so hoch, dass wir nicht über unsere eigene Gangway vom Schiff kommen. Über die Badeplattform schon gar nicht. Mein Blick schweift umher. Manchmal liegen in solchen Häfen Holzplanken herum, die man als Gangway benutzen kann. Ja, die könnten wir nehmen, bedeutet uns der ormeggiatore. Ich bin gespannt, ob er es schafft sich zu bewegen und die Planke zu uns zu schieben. Wir kommen ja nicht dran und er wirkt erstmal nicht so, als wollte er sich irgendwann überhaupt nochmal bewegen. Aber dann doch: Er schlurft zwei Schritte, bückt sich und schiebt die Planke in unsere Richtung. Das Geräusch, das sie macht, als sie über das Pflaster schrappt, hört sich an, als wollte auch sie sich auf keinen Fall bewegen. Schon gar nicht auf unser Schiff. Wie es sich für eine Planke gehört, hat sie an jedem Ende durch ein Loch gezogen ein Bändsel, mit dem man sie auf Pier und Schiff fixieren kann. Diese Bändsel aber sind nur noch traurige Reste. An den Stellen, die ein langes Scheuerleben im Loch hinter sich haben, bestehen sie nur noch aus einzelnen Fasern, die bei der nächsten größeren Belastung drohen zu reißen.
O.k.. Anspruchsvolle Aufgabe. Planke installieren. Multikomplexes Geschäft. Sie muss sicher liegen. Sie darf nicht die Oberfläche des Schiffes beim Bewegen beschädigen. Sie muss auch bei hohem Wellengang oder bei großen Wasserstandsänderungen sicher liegen. Sie soll nirgendwo anstoßen, schon gar nicht dauernd, damit sie nichts beschädigt oder unseren Schlaf stört. Sie muss leicht hoch zu binden sein in der Nacht, um noch sicherer frei und geräuschlos schwingen zu können. Bei diesem traurigen Etwas von Planke ist das eine Arbeit von mehr als einer Stunde.

Menschen, die über die Pier flanieren und ungerührt neugierig in unser Boot glotzen. Ein Kellner in der Hafenkneipe, dem wir ebenfalls lästig scheinen. Wir müssen weg von diesem Hafen und nehmen einen Shuttle-Bus ins Städtchen. Der Fahrer schickt uns schon nach einer Haltestelle, die kaum 1 Kilometer entfernt ist, wieder raus. Dort – er zeigt auf ein kleines Sträßchen – gehe es zum Zentrum, er biege jetzt hier ab. Das Städtchen ist, – na eben ein Städtchen. Das Zentrum ist eine relativ neu gebaute Kirche. Der Platz davor schafft es wahrscheinlich auch am Abend nicht in den Status der Piazza. Ein lauthals streitendes Paar in einem verfallenden Haus mit unfassbar schönem Blick auf’s Meer ist schon fast ein Lichtblick. Immerhin lächeln wir. Italien!
Auch aus dem Städtchen müssen wir raus. Wir hatten ein Hinweis-Schild auf einen Weg zu einem Leuchtturm gesehen. Dem wollen wir jetzt einfach folgen. Je höher wir kommen, desto weiter weg sind wir von den Niederungen des Daseins „da unten“ und desto schöner wird es.
Bucht bei Palinuro

Palinuro Untiefe beim Hafen

Palinuro Blick auf Felsen im Wasser

Oben auf der Kuppe des Berges hinter Palinuro erreichen wir tatsächlich ein Gelände mit einem Turm. Nur der idyllische runde, am besten weiße Leuchtturm, der den Seefahrern entgegenlächelt, ist das nicht. Der Turm ist viereckig, gelblich-beige, von hohem Zaun umgeben, mit Schildern bewehrt: Zona militaria, gehörnt mit einer Unzahl Antennen. Wir drehen wieder um. Noch höher können wir nicht. Wir finden eine Stelle, an der wir mit einem sehr schönen Weg durch einen alten Pinienwald die Strecke zum Hafen abkürzen können.
Am Abend wollen wir essen gehen. Vorher einen Spaziergang machen in Richtung eines Kaps, das wir vom Schiff aus sehen können. Bestimmt gibt es da einen grandiosen Sonnenuntergang. Etwas zu spät kommen wir weg. Wir schauen den Hang hoch. Dort oben steht ein idyllischer runder weißer Leuchtturm mit einem roten Häubchen. Unmittelbar hinter einem größeren beigen mit Antennen drauf. Sonnenuntergang am Kap. Eine idiotische Idee, – angesichts der Verhältnisse. Die Zeit würde zwar passen, aber am Himmel haben sich in wilder Drohgebärde Wolkentürme versammelt. Ich meine, da oben hängt ein großes Schild: Zona Militaria! Heute kein romantischer Sonnenuntergang. Wir dackeln zurück. Inzwischen ist es so dunkel, dass wir den Weg kaum noch erkennen. Außerdem beginnt der Himmel seine Drohung wahr zu machen.
Immer öfter zerreißen grelle Blitze die Schwärze des nächtlichen Gewitterhimmels in gleißende Fetzen. Immer öfter brodelt gewaltiger Donner durch die Täler nahe dem Meer. Beides in immer kürzeren Abständen von einander.
Wir schaffen es trocken ins Restaurant. Kaum sitzen wir, öffnet sich draußen der Vorhang zu einem Drama epischer Wucht. Wie aus dem Nichts stürzen sich Windböen unter das schützende Glasdach über der Terrasse, auf der wir sitzen und sprühen dichte Nässe hinein. Ein Wolkenbruch, den man als Regen nicht bezeichnen kann. „Giorgio!!“. Der Restaurantbesucher ruft einen Mitarbeiter. Giorgio kurbelt schnell die Kunststoff-Seitenwände der Terrassenanlage herunter. Die Wände sind durchsichtig. Schließich sind wir ja Publikum eines epischen Dramas. Rechts in der Ecke kleckert wild ein Sturzbach zwischen Dach und Wand ins Innere. „Giorgio!!“. Die Kellnerin bekommt einen Reißverschluss der Seitenwand am Eingang nicht zu. „Giorgio“. Irgendwann hat Giorgio die Lage im Griff und wir können bestellen. Wir fühlen uns wie im Inneren eines Aquariums, nur dass das Wasser draußen ist. Ganz langsam gewöhnen wir uns an das wilde Theater da draußen und genießen die Vorspeise. Am Rand steht plötzlich ein Mann. Zupft, – noch unentschlossen, ein wenig an den Saiten einer Gitarre herum. Hier?? Ein rumänischer Straßenmusiker, der sich mit romantischer Musik für die Restaurant-Gäste ein paar Euro verdienen will? Wie ist der in dieses Aquarium gekommen? Dann ist er erstmal wieder weg. Beim zweiten Gang ist er wieder da. Jetzt steht er zwischen unserem und dem zweiten noch besetzten Tisch. Jetzt ist er entschlossen. Er spielt und singt ein Lied, das unsere Tischnachbarn offenbar kennen. Sie lächeln. Ab und zu blubbern ein paar Töne und Silben aus ihnen heraus wie kleine bunte Seifenblasen. Der Mann endet, nimmt unseren Beifall entgegen und erklärt etwas zu dem Lied. Wir verstehen kaum, was er sagt, aber immerhin soviel, dass wir wissen: Es geht um traditionelle neapolitanische Lieder. Kein Rumäne. Die Beiden am Nachbartisch scheinen den Mann zu kennen.
Das Drama draußen geht weiter. Irgendwann fährt einer der Blitze mitten zwischen uns: Fast gleichzeitig fällt uns ein, dass wir die kleinen Fenster an unserem Schiff noch offen haben. Das machen wir oft, wenn wir das Schiff verlassen. Aus Lüftungsgründen. Wir Idioten! Das haben wir doch in Castellamare schon erlebt! Wie schnell aus einem Gewitterchen ein infernalisches Flutungs-Szenario wird. Mir fällt zu allem Überfluss noch ein, dass meine Kamera offen unter einem dieser kleinen Seitenfenster liegt. Erster Impuls: Nichts wie hin! Retten, was zu retten ist! Zweiter Impuls: Sinnlos! Erstens ist es eh zu spät. Zweitens haben wir die mühsam aufgebaute Gangway-Konstruktion abgebaut. Bis wir die wieder so eingerichtet haben, dass wir irgendwie auf’s Schiff kommen, sind wir nicht nass bis auf die Haut, sondern bis auf die Knochen. Unsere Stoßgebete, dass es bitte, bitte nicht so schlimm sein möge, wie wir befürchten, werden begleitet von den lieblichen Klängen eines neuen neapolitanischen Liedes.
Gnädigerweise hört der Regen dann tatsächlich irgendwann auf. Wir gehen zurück. Fummeln provisorisch die Planke ans Schiff. Steigen mitten hinein in das Drama. Im Salon und in einem Teil der Schlafkabine ist vieles nass. Manches klatschnass. Die Kamera hat richtig was abgekriegt. Schweigend machen wir uns an wenigstens ein bisschen akute Schadensbegrenzung. Die Liebste die Bettwäsche, das klatschnasse Hafenhandbuch, die Schuhe und vieles mehr. Ich die Kamera. Mit Küchentuch und Messer versuche ich möglichst viel Nässe aus den Ritzen zu bekommen. Wir hoffen beide inständig, dass das Wasser nur oberflächlich geblieben und nicht wirklich eingedrungen ist.
Irgendwann gehen wir inmitten des improvisierten Trockenraumes schlafen. Schlafen ein. Werden wach. Können nicht wieder einschlafen. Scheißnacht.

Palinuro nass gewordene Gegenstände im Schiff

Polinaru und wir: Das ist keine Erfolgsgeschichte. Und sie hat einen Höhepunkt, den wir dämlicherweise auch noch selbst verschuldet haben.