Wackelkandidaten

Radweg. Ich bin auf dem Weg nach Hause. Kurz zucke ich zusammen, als ich hinter mir eine gut gelaunt glockige Fahrradbimmel höre. Ich muss grinsen. Im Auto ist es selbstverständlich, dass ich hinter mir andere Verkehrsteilnehmer auf der Rechnung habe. Auf dem Fahrrad nicht. Jedes Mal erschrecke ich wieder neu, wenn sich dann doch einer meldet. Da will mich jemand überholen. Muss ziemlich schnell sein. Ich drömmel ja nicht gerade. Ich drücke mich ganz rechts an den weißen Streifen, der den Radweg vom Bürgersteig trennt und bin gespannt, was da gleich an mir vorbei eilt. Plötzlich wieder das glockige Drängeln. Ui, das muss was Breiteres sein. Vielleicht eins dieser flachen Dreiräder, von denen man hinter parkenden Autos nur das Fähnchen sieht? Gut, – dann über den weißen Streifen und auf die Gehfläche. Ist ja gerade keiner.
„Können wir mal eben vorbei?“, flötet eine Oma und schon rauschen sie und Opa auf E-Bikes an mir vorbei. Während ich ihnen hinterher schaue, denke ich, der Ausdruck „sie fahren Rad“ wäre hier unpassend. Richtiger wäre: „Das Rad fährt sie“.
Bald darauf eine Ampel. Hier will ich die Hauptstraße überqueren. Die Beiden offenbar auch. Als ich gerade ankomme, springt die Ampel auf Grün.
Oma beginnt aufzusteigen. Opa auch. Beide kämpfen mit dem Aufwärts-/Vorwärts-Balanceakt. Ihm gelingt es. Ihr nicht. Auf der Hälfte der Fahrbahn wackelt sie bedenklich. Er nimmt Fahrt auf. Sie will die Aktion abbrechen, kann aber auch nicht einfach vom Rad springen. Er hält auf sie zu. Kurz bevor er in sie hineinkracht, lügt er sich mit einem irgendwie zufällig gelingenden Seitschwung vorbei. Dabei schnauzt er : „Was störst du denn?!? Ja!!“
Und zieht von dannen.
Sie versucht sich selbst, bedenklich zur Seite geneigt, schrapphüpfig mit einem Fuß zum Stehen zu bringen. Ich bin sicher, dass sie stürzen wird und bleibe hinter ihr.
Zum Glück stürzt sie nicht.
Auf der Verkehrsinsel zwischen den Fahrbahnen versucht sie es erneut. Die Ampel ist inzwischen auf Rot gesprungen. Wieder kämpft sie mit dem Gleichgewicht. Wieder bleibe ich lieber hinter ihr. Aber sie schafft es, obwohl die Linkskurve nach der Ampel ihre Oberarme und ihren Balance suchenden Oberkörper noch einmal schwer herausfordert.
Ich meine, ihre Erleichterung von hinten sehen zu können, als sie davonrauscht.
Meine spüre ich.
Doch nur kurz. Dann neue Aufregung. Sie wird doch nicht!?!
Doch, – sie tut es. Ohne abzubremsen biegt sie scharf nach rechts auf einen abschüssigen Weg, dessen Fahrbahn aus Split auf gepresstem Sand besteht. In meiner Vorstellung rutscht jetzt jeden Moment das Fahrrad unter ihr zu Seite.
Aber auch das geht gut.
Als ich die Stelle erreiche und auch abbiege, kann ich beide schon nicht mehr sehen.
Hoffentlich passen sie gut auf.
Die Anderen. Die, die Oma und Opa begegnen.