26.08.2018

(Ventotene, pontinische Insel, porto vecchio)

Es gibt das also doch. Das Schlager-Italien. Wenn die Macher der Utta-Danella-Schmonzetten irgendwann die Nase voll haben von Cornwall (oder ist das Pilcher und Danella spielt in Skandinavien, ach nee, das ist Inga Lindström …), – wenn sie also die Nase voll davon haben und auf Italo schwenken: Hier müssen sie hin. Sie brauchen kein künstliches Ambiente bauen. Alles ist da.
Ein malerischer Hafen. Es sind die Überbleibsel eines römischen Galeerenhafens. Den unteren Rand der Gebäude am Hafen und der Hafenmauer zum Meer hin bilden Wände und Durchbrüche, die aus bräunlichem grauem Tuffstein geschlagen wurden. Die ursprünglich sicher mal vorhandene Rechtwinkeligkeit wurde von Wind und Regen in Jahrhunderten weichgezeichnet. Jetzt sieht man nur noch mild geschwungene Linien. An Land einige große Bögen.

Hafengebäude Ventotene

Irgendwann waren sie mal die Eingänge zu Lagerräumen. Z.B. Lederriemen für die Ruder, Ersatzschlägel für die Trommel, mit der die rudernden Sträflinge angetrieben wurden, Fesselketten, verschiedene Ausführungen von Peitschen, was man halt so braucht auf Galeeren. Jetzt sind dort hinein malerische Restaurants gebaut, an Lieblichkeit kaum zu überbieten. Du sitzt an kleinen Tischen unter dem Tuffstein-Bogen. Ein Gläschen kühler (Nein! Nicht kalter!) Weißwein. Ein Schälchen Oliven. Vor dir nur ein kleines Stückchen asphaltierter Hafenweg, wie geschaffen für die dreirädrigen kleinen Knatter-Lieferwägelchen von Kitsch-Italien. Versonnen schaust du auf die fast in Greifnähe friedlich vor sich hin dümpelnden kleinen Boote. Einmal, als wir spät noch da sitzen auf ein Glas kühlen Weißwein (Nein! Nicht kalt!) und ein Schälchen Oliven und die Belegschaft am Nachbartisch genüsslich zum Feierabend kifft, ist die Liebste erst sicher, dass wir seitlich schwojen und nicht die Boote. Dann ist sie sicher, dass die Boote im Takt der chilligen Feierabend-Mucke schwojen. Kichernd stellt sie fest, dass es bei Ihr offenbar schon reicht, wenn am Nachbartisch welche kiffen.
Am eigentlichen Hafen, der sich nach einer engen Schmalspur-Sträßchen-Kurve öffnet, ist die Pierfläche etwas größer.

Hafen in Ventotene Fischerboot

Hier steht ein richtiges Haus. Das Restaurant hat die Tische direkt vor den Booten. Die Kellner*innen tänzeln mit den Leckereien aus dem Haus, über das Sträßchen, zu den Tischen. Über dieser Hafenszenerie hat sich eine Reihe niedlicher Häuser versammelt, – allesamt verputzt in diesen Italo-Pastellfarben, die unwillkürlich gute Laune machen. Vielleicht auch deshalb, weil sie sich vor dem Hintergrund des tiefblauen Himmels einfach gut machen. Sie haben genau den Verwitterungsgrad, der den Eindruck noch malerischer macht. Vor den Häusern müht sich in engen Serpentinen ein Sträßchen aufwärts, schleicht an plötzlich den unschlagbaren Blick auf’s Meer freigebenden Torbögen vorbei, wirft einen schnellen Gruß in eine schattige Bar an einer kleinen Piazzetta und erreicht schließlich die Piazza. Das eigentliche Zentrum dieser Idylle. Das Hauptgebäude eine Art Schloss, das jetzt municipio ist und zugleich museo. Rechts und links davon und gegenüber: Läden, Cafes, Restaurants. Die Piazza lebt. Morgens Menschen, die irgendwas besorgen, auf ein Schwätzchen unter Bäumen bleiben, weiterziehen, verwitterte Einkaufsbeutel oder diese noch immer unvermeidlichen dünnen Plastikbeutel schwenkend. Mittags tiefe Stille. Einige Übriggebliebene drücken sich in die letzten Reste von Schatten, biegen die Köpfe in ihre Handys, sitzen da und tupfen ab und zu die Stirn, lehnen sich an eine etwas kühlere Wand, einen Fuß an sie gewinkelt und dösen.
Abends belebt sie sich wieder. Die Menschen sind fein gemacht. Vor dem Buchladen stehen ein paar Stühle. Zwei Männer vorne reichen ein Mikrophon hin und her, stellen ein Buch vor. Auf der anderen Seite: Passegiata. Man zeigt sich, man guckt, man trifft sich, man redet. Vielleicht holt man sich zwischendurch ein Eis. Mittendrin und drumherum und davor und dahinter – einfach überall: Kinder, Bälle, alle möglichen Arten von Fahrzeugen, alle möglichen Arten von spielerischem Umgang damit. Angesagt zurzeit: Kleine, zweirädrige, blinkende Batterie-Rollgefährte. Die Coolen stehen drauf. Die noch nicht so Geübten fahren es erstmal nur im Knien. Man steuert nur mit Gleichgewichtsverlagerung. Im Hintergrund ein dauerbelagerter Kicker. Hauptsache aber: Der Ball. Fußball. Unzählige Varianten von Spiel damit. Improvisierte Tore. Im Zweifel das Eingangsportal zur Kirche. Dass hier nicht dauernd irgendwas zu Bruch geht, – ein Wunder. In allen Ecken in Gruppen stehend, sitzend, plaudernd, einfach schauend: Die Eltern. Ab und zu ein mahnender Ruf, wenn z.B. die Kleine mit dem Kinderfahrrad im kitschigsten Rosa aller Zeiten und allerlei Plastik-Schnickschnack doch etwas zu dicht an das am Rand vorbeiführende Sträßchen heraneiert. Möglich all das durch nichts anderes als, – Stühle. Ja, Stühle! Auf der Piazza stehen immer stapelweise Plastikstühle bereit. Wenn man keine Lust hat, auf den Stufen zu dem kleinen Mahnmal zu sitzen oder auf dem Rand von einem der Blumenkübel oder auf dem Bordstein, nimmt man sich einen, stellt ihn zu den anderen, bildet Kreise, Halbkreise, chaotische Haufen. Die kleinen Kickerspieler nehmen sie, um sich draufzustellen, weil sie sonst nicht an die Griffe kommen. Ab und zu braucht auch eine weiß gekleidete Piazza-Schönheit mit Gigolo im Schlepptau den Stuhl um mit ihrem süßen kleinen Schoßhündchen „Spring drauf! Na komm! Spring drauf!“ zu spielen und dann wieder runter.
Die Menschen, denen wir begegnen, könnten allesamt Protagonisten sein in der Danella-Italo-Schmonzette. Hauptfigur: Enrico. Schon beim Versuch wegen drohendem Starkwind einen Hafenplatz für zwei Tage später zu bekommen, lernt die Liebste ihn kennen. Am Telefon. Er antwortet knapp, fragt nicht nach Länge, Breite und Tiefgang unseres Schiffes und sagt einfach „vieni!“. Uns ist das nicht so richtig geheuer und deshalb ruft sie gleich nochmal an. Dieselbe karge Wörternutzung. Ob der Platz securo sei. Si, si securo. Auf dem Törn dorthin wetten wir. Die Liebste sagt, wir kommen da nicht rein. Ich denke es auch, aber wette dagegen. Sonst haben wir ja keine Wette. Kurz vor dem Hafen erneut ein Anruf. Wir gucken uns erstaunt und erleichtert an. „Ja. Kommen Sie. Ich hole sie in der Hafeneinfahrt mit dem Schlauchboot ab.“ Der erste Versuch scheitert, – einfach weil wir an der Hafeneinfahrt vorbeidampfern. Sie ist so klein, dass man sie leicht übersieht. Also zurück. Und da steht schon das Schlauchboot. Darauf breitbeinig Enrico. Er winkt. Als wir zurückwinken, dreht er mit Schwung um und gibt uns Zeichen, wie wir die Einfahrt angehen müssen. Unmittelbar nach der Einfahrt selbst drehen wir im 90-Grad-Winkel nach rechts. Enrico vorneweg. Er zeigt uns die Stelle, wo wir liegen sollen. Mit dem Bug vorneweg. Langsam tuckere ich darauf zu. Hoch angespannt. Ich erwarte ziemliches Getrickse beim Eindrehen in den „Parkplatz“. Plötzlich merke ich, wie sich das Schiff wie von Geisterhand dreht. Enrico und ein weitere Helfer in einem Schlauchboot schieben und drehen das Schiff. Haben es eigentlich übernommen. Wir machen nix mehr, außer zwei Leinen an Land zu werfen, die wiederum von zwei Helfern entgegengenommen werden. Selbst die Mooring müssen wir nicht selbst anbringen. Das macht der Mann aus dem zweiten Schlauchboot. In Windeseile ist das Schiff fest. Wir haben so gut wie nichts dazu beigetragen. Wie im Film. Dann der Höhepunkt der Szene. Einer der Männer legt eine breite und dicke Holplanke auf den Bug unseres Schiffes und auf die Pier. Eingeklemmt zwischen einem Poller auf der Pier und unserer Bugklampe.
Die zweite Film-Figur: Pietro.

Junge steuert großes Schlauchboot

Ein vielleicht 10-jähriger Junge schlurft heran. Blaue Shorts, blaues T-Shirt, blaue Flipp-Flopps. Ein ernstes und zugleich offenes Gesicht. Eine fulminante sehr dunkelbraune Lockenmähne, die er ab und zu mit einem kurzen Zucken zu Seite wirft, wenn ein Windchen sie ihm zu sehr ins Gesicht gewirbelt hat. Er erklärt uns irgendwas, was sich auf die Klampe bezieht. Auf ein Bändsel, das am Ende schlonkert. Wir verstehen nicht, was er meint. Einem der Helfer von vorhin dauert das zu lange. Er steigt auf’s Schiff und bändselt kurzerhand die Holzplanke an einer Relings-Stütze fest. Unsere Gangway steht. Der Junge schlurft von dannen.
Wir steigen ab, wollen in die Bar gegenüber, wohin Enrico uns zum Bezahlen geschickt hat: Das Schiff anmelden, bezahlen und in aller Ruhe einen Espresso nehmen.
Die nächste Hauptfigur der Danella-Italo-Schmonzette tritt auf: Marcella. Die Schwester von Enrico. Sie steht tief im Schatten der Bar an der Theke, hat Anthea auf dem Arm, ihre kleine, vielleicht ein knappes Jahr alte Tochter. Wo der Chef sei, frage ich sie, wir wollten den Liegeplatz bezahlen. Direkt der erste Fettnapf. Die Chefin der Bar ist sie. Sie wirft ein paar Haare aus dem Gesicht, lächelt überlegen und sagt, wir müssten bei Enrico bezahlen. Der sei dahinten. Dabei geht sie an uns vorbei zum Eingang, biegt den Kopf heraus, damit er bloß nicht zuviel Sonne abkriegt und ruft mit entschiedener Schärfe und einem Hauch von Gianna-Nannini-Kratzen: Enrico! Und gibt ihm mit Daumen und Zeigefinger zu verstehen, dass hier Geld fließen soll. Ich sehe ihre Geste, schaue ihr ins Gesicht. Ob sie sich ein wenig ertappt fühlt? Sie schaut mich stolz an. Ein leichtes Zucken der Augenbraue. Ein Hauch von Ironie. Das alles sagt: „Ja was??!!“ Geht doch um Geld, oder??!! Also!!“.
Enrico gibt uns zu verstehen, dass wir genauso gut beim Abfahren bezahlen können. In allen anderen Häfen war das Anmelden und Bezahlen ein Verwaltungsakt, der fast der Beantragung eines neuen Personalausweises gleichkam. Da mussten die Schiffspapiere studiert, Namen buchstabiert, Herkunftshäfen genannt, Schiffsdaten genannt, die Registrierungsnummer gesucht werden. Letzteres gar nicht so einfach. Die Schiffspapiere enthalten unzählige sehr wichtig aussehende Nummen. Das alles muss dann mit zwei Fingern, in denen offenbar noch die Erinnerung an alte Schreibmaschinen steckt, in ein Computerformular einhämmert werden. Hier: Lässig. Keine Formulare. Bezahlen beim Abfahren. Begleitet von der dazugehörigen locker hingewunkenen Geste.
Wir bestellen Espresso, Aqua, Torta und sammeln weiter Protagonisten: Vicenze. Wirkt eher nicht wie ein Kellner, eher wie ein noch nicht ganz ausgeschlafener Intellektueller. Er bringt etwas staksig und künstlich unsere Bestellung. Anschließend verdrückt er sich wieder in den Schatten und schiebt den Kopf so tief in sein Handy, dass man merkt, wie sehr er sich freut, wenn eher wenig Gäste kommen. Während wir uns über Kaffee, Wasser und Kuchen hermachen, stehen Marcella und Anthea in unserer Nähe. Die Liebste bricht das Eis. Sie fragt die Mutter, ob die kleine schone anfange zu sprechen. Es folgt ein lebendiger Vortrag. Ja zuerst „Papa“, leider, schon ein bisschen traurig. Man möchte ja … aber dann doch irgendwann Mama. So schön! Sie macht es ein paarmal vor, wie die Kleine Mama sagt. Jede Variante ein kleines Lied. Die Melodie hüpft so hoch beim a, dass man unwillkürlich mit abhebt.
Dann Giosi. Eine füllige junge Nachbarin, deren Brille aufs Netteste ihren jeweiligen Gesichtsausdruck verstärkt, weil er mit viel Gesichtsbewegung verbunden ist. Sie springt fast aus dem Gesicht, als sie auf Anthea zugeht. Sie nimmt Anthea auf den Arm. Anthea gefällt das offensichtlich, denn sie lässt sich bereitwillig in den Kinderwagen setzen. Danach drehen die beiden eine Runde. Nicht weit weg. Denn man hört Giosi immer wieder mal singen. Dass Enrico die Hauptfigur in diesem Szenario ist, merkt man auch daran, dass immer mal wieder einer von irgendwoher, meist von einem Boot aus lustvoll „Enrico“ ruft. Mit freudigem Schwung hüpft der Klang zum i hinauf und schwingt dann beim o sanft aus.
Es folgt: Giro. Er ist hier der Macher. Er war beim Anlegen dabei, räumt herumliegende Schläuche auf, frickelt an einem Außenborder, hat plötzlich gelbe Handschuhe an, erklärt einem Vorbeigehenden, dass er neuerdings öfter Handschuhe anziehe wegen der Allergie (jedenfalls verstehen wir das so …). Auf dem Höhepunkt seiner wichtigen Hafentätigkeiten schnurrt er plötzlich mit einem hoffnungslos überdimensionierten Gabelstapler vorbei. Der passt so gerade zwischen Bar und Restauranttischen durch. Damit bugsiert er einen Stapel Paletten und eine Riesenplastikkiste aus einem der Lagerräume unter den Tuffstein-Bögen. Dann die namenlose Schönheit, die allein im Kaffee sitzt. Schlank und kerzengerade. Sie ist in nicht besonders viel dezentes Schwarz gekleidet. Ernst. Melancholisch. Schweigsam. Pietro dreht inzwischen unablässig Runden mit Enricos großem Schlauchboot. Er steht am Steuerstand, über den er kaum hinwegblicken kann. Also guckt er eher seitlich vorbei. Die Hand muss er heben, um an den Schalt- und Gashebel zu kommen. Mit der anderen Hand lenkt er den dicken Außenborder lässig. Er ist stolz. Und er kann dieses Boot bewegen wie ein Baggerfahrer seinen Bagger nach 20 Jahren Berufserfahrung. Oft muss er andere Hafenjungs irgendwohin fahren, wo sie vom Boot aus irgendwas zu erledigen haben. Einer von ihnen scheint so eine Art Ziehvater von Pietro zu sein. Er ist fast immer bei ihm. Erklärt. Zeigt. Macht vor. Lässt nachmachen. Er redet nie. Scheint es. Und er ist im wahrsten Sinne des Wortes: Cool. Er spielt das nicht. Er tut nicht so. Er hat nicht ein paar nichtsnutzige Assecoires um cool zu wirken. Nein, er ist es. Genetisch. Vegetativ. Er scheißt auf Freundlichkeit. Er grüßt nicht. Aber nicht aggressiv. Es ist einfach nicht wichtig. Er ist eben cool. Und die Sonnenbrille auch. Nicht weil sie RayBan ist oder irgendeine andere In-Marke. Nein. Auch das unwichtig. Die Haltung. Das Sein. Das macht cool. Nein. Nichts macht cool. Man ist es oder eben nicht.
Ach ja, – und Emilia. Sie ist die ältere Schwester von Anthea. Sie ist vielleicht 7. Sie sitzt mit zwei Freundinnen am Tisch. Alle drei wären gerne größer, denn sie haben ihre Beine irgendwie unter das andere gewinkelt, damit sie höher sitzen. Oder sie knien gleich. Mädchengeplapper. Die eine will irgendwas erzählen. Emilia hält sich theatralisch die Ohren zu und schimpft: „Non è vero. Bla bla bla. Non è vero! Bla bla bla“. So lange, bis die anderen einfach gehen. Ihr scheint das egal. Sollen sie doch. Sie ist schon jetzt ein schönes Abbild von der Mutter Marcella.
Wenn wir noch zwei Stunden sitzen hier würden, hätten wir die Figuren und ihre Episoden für die ersten zwei abendfüllenden Spielfilme zusammen.
Und einem Schmonzetten-Drehbuch-Schreibprofi würde es sicher gelingen, die deprimierende Geschichte der Knast- und Konzentrationslager-Anlage auf der kleinen Nachbarinsel ebenso unterhaltungs-verträglich in die Geschichten einzubauen wie die Zisternen, die, bevor sie dann auch zu unterschiedlichen Zeiten aus unterschiedlichen Gründen als Sträflings-Lager genutzt wurden, in römischer Zeit die Insel, aber vor allem eine Villa mit Wasser versorgten. Die Villa der Julia. Sie war 2 vor Christus von ihrem Vater, Kaiser Augustus, hierhin verbannt worden wegen ihres ausschweifenden zügellosen Liebeslebens.
Aber das wäre dann eine andere Danella-Schmonzette.