Biermann spielt im Bundestag

Wortgewalt-tätiger Drachentöter

Ein Drachentöter möcht‘ er gerne sein gewesen.
Der ausgestreckte Zeigefinger war wohl dann sein Schwert.
Von diesen hier und jenen da ins Heldentum hineinverehrt,
(Von jenen feindeshalber halt verkehrt
Herum), wollt‘ er am Ende nur Leviten lesen.

Das zeigt: Ein einig Vaterland schon vor der Wende!
Der Lehrer hebt im Wohlgefühl des Besserwissens seine Hände.
Er unterweist vom Pult das Pack.
War hier wie da nichts als autoritärer alter Sack.

Youtube: Wolf Biermann gibt dem Bundestag die Ehre

Der netteste Moment am Ende.
Kanzlerin und Vizekanzler machen Biermann Ihre Aufwartung. Und der Spitzbube Lammert – hat er intuitiv gespürt, was hier schiefläuft? – sagt:

„Also, das war jetzt nicht Kanzlerwahl mit den üblichen Gratulationskuren am Präsidentenpult“.

Vorher singt Biermann eine alte Kamelle. Empfiehlt den Abgeordneten, die mit wohlaufgesetztem „Achtung!-Kunst“-Blick dem selbsternannten Drachentöter zuhören wie Abiturienten in der teuren Privatschule dem Schulleiter bei der Zeugnisverleihung: „Du lass dich nicht verhärten“.
Zuerst sagt er, was ein Lehrer immer als erstes sagt: „So“. Übersetzt: Jetzt wird mir zugehört.
Sagt es und glotzt danach ab und zu selbstherrlich in die Runde. Am Anfang gleich. Virtuoses Geklimper als Einleitung. Scheinbedeutsame klingende Belanglosigkeit. Dann ein musikalisches Zitat seiner selbst. Er kontrolliert, ob auch alle brav zuhören, die Botschaft verstehen, das Lied erkennen. Man würde sich nicht wundern, wenn er plötzlich unterbrechen und rufen würde: „Trittin! – Was hab ich gerade gespielt?“ Trittin schreckt auf! Er weiß es nicht. „Setzen! 6!“
Kündigt an, den Linken nicht die Leviten zu lesen, wie es die Rechten natürlich erwarten. Und tut es dann doch. Na klar. Im deutschen Bundestag! Als ob da nicht schon andere tagtäglich ihr klägliches Mütchen kühlen am traurigen Rest einer irgendwann einmal utopischen gesellschaftlichen Vision.
Wohlgemerkt: Dem Rest einer Utopie im Westen dieses Landes.
Wenn schon Grüne sich eine „aktivere Rolle“, sprich: eine „bewaffnete Rolle“ der Deutschen an den Kriegsschauplätzen dieser Welt vorstellen, dann ist der traurige Rest des „demokratischen“ „Sozialissimus“ in der DDR – will man sagen: leider? – eben auch der traurige Rest jener linken gesellschaftlichen Vision im Westen, … ja, liebe Kinder, das gab es mal. (Zwinker!)
Diesem traurigen Rest liest er dann doch die Leviten. Stürzt sich in Scharmützel mit Zwischenrufern aus der Fraktion der Linken. Die sind doof genug, ihm diese Gelegenheit auch zu bieten. Anstatt, wie man das bei einschlägigen Gelegenheiten als braver Privatschul-Abiturient eben macht, einfach die Schnauze zu halten. Nein, sie wehren sich. Wissen sie nicht, dass sie es mit dem Schulleiter zu tun haben? Trotzig weisen sie darauf hin, dass sie doch aber demokratisch gewählt seien. Und kriegen natürlich vom Oberlehrer gleich mit dem Hinweis auf die Geschichte – ah: Geschichtslehrer… – was auf die Fresse. „Sei nicht zu clever!“, raunzt er dem aufmüpfigen Pennäler entgegen.
Um dann – endlich – doch Gnade vor Recht ergehen zu lassen und dem Auditorium das Lied vom Verhärten zu schenken.
Ich hab ihn gemocht. Sehr sogar. Ein bisschen schäme ich mich jetzt vor mir. Hatte er immer schon diese autoritäre Pose? Diesen Schimmer von Künstler-upperclass, ja, aber dieses Elfenbein-Kerker-Belehrende? Bin ich darauf einfach reingefallen? Oder war ich eingeschüchtert? Hab ich ihm lieber geglaubt, als ihm zuzuhören?
„Ich weiß ja, dass die, die sich Linke nennen, nicht links sind, auch nicht rechts, sondern reaktionär“, sagt er. Im deutschen Bundestag. Wo er gerade sitzt und seine geschichtsgeschwängerte Prominenz ausbreitet.
Er hätte doch auch „Nein“ sagen können. Nein, hätte er nicht. Ein echter Oberlehrer sagt nicht „Nein“, wenn er mal den Schulleiter vertreten darf.

So ist das ja wohl zu verstehen, wenn er am Ende die große „Wie-schön-dass-wir-jetzt-alle-in-der-Demokratie-leben-Sülze“ verteilt. Mit Erfolg. Denn Kanzlerin und Vizekanzler verlassen ihre Sessel und gehen zu ihm hin. Nicht er zu ihnen. Und kondolieren.
Hat Lammert das alles gespürt, als er sagte: [s.o.]?