Tag 42

Zwei linke Gehirnhälften

Wenn ich in einen Baumarkt gehe mit einer Frage, von der ich vermute, dass richtige zertifizierte Heimwerker sie lächerlich finden, dann baue ich vor und kokettiere mit meiner Ungeschicklichkeit. Ich leite ein mit: Haben Sie schon mal von dem Mann mit den zwei linken Händen gehört?
Ja?
Das bin ich.
Meistens kriege ich ein honoriges ‚Gibt keine doofen Fragen, gibt nur doofe Antworten‘ geschenkt.
Dabei habe ich gar keine zwei linken Hände. Aber ich fürchte: Zwei linke Gehirnhälften.

Ich verbringe den halben Sonntag mit der Lösung eines Problems. Die ganze Abteilung ‚Elektronik‘ in meinem Zimmer hängt an einer Steckdose. Diese kann ich zentral an einem Schalter neben der Tür ein- und ausschalten. Er sieht aus wie die beiden Lichtschalter darüber.
Ich tippe drauf, wie üblich, weil ich Computer und Keyboard bespielen will. Nix. Ich tippe nochmal und nochmal. Nix. Ich weiß, dass ‚Nochmal-Drücken‘ totaler Quatsch ist. Aber ich schiebe damit etwas auf, von dem ich weiß: Es ist genauso unangenehm wie unvermeidlich: Ich muss in die unheimliche Unterwelt des Kabelgewirrs in den Kellergewölben des Schrankes neben meinem Schreibtisch hinter der Schiebetür unter der Schräge kriechen. Erreichbar ist es nur durch eine schräge Luke ganz rechts in der Ecke. Zugänglich ist sie nur, weil ich unheimlich lange Arme habe.
Ich habe sofort die entscheidende Diagnose: Es ist diese uralte Mehrfachsteckdose, der ich noch nie so richtig getraut habe. Kein Problem: Ich krieche eine Etage unter das unterste Regalbrett hinter der Schiebetür vor dem Schrank unter der Schräge, stöpsele die Mehrfachsteckdose aus und freue mich schon darauf, wenn ich gleich die ganzen Geräten mit einer schicken, deutlich jüngeren Steckdosenleiste beglücke.
Und dann dämmert mir: „Gleich“ ist ein schöner, aber unerfüllbarer Traum. Die Steckdosenleiste selbst liegt auf dem oberen Regalbrett hinter der Schiebetür vor dem Schrank unter der Schräge. Zwischen Wand und Regalbrettern passt kein Stecker durch. Weder der alte von der kaputten Leiste, noch der neue. Der Plan, sich die alte Leiste erstmal anzusehen, d.h. sie auseinanderzubauen und sie zu reparieren, ist schon mal schwieriger. Aber gut, dann baue ich sie eben unterm untersten Regalbrett im Kellergewölbe hinter der Schiebetür vor dem Schrank unter der Schräge auseinander. Denke ich.
Geht aber nicht. Da gibt es nichts, nicht einmal einen Hauch von irgendwas, was man auseinanderbauen könnte. Also die neue Leiste. Von der alten schneide ich dann den Stecker eben einfach ab.
Die neue Leiste hat tatsächlich Schrauben. An der Seite und am Boden.
Optimistisch suche ich Werkzeug zusammen und trage es auf die Baustelle.
Ich drehe die Seitenschrauben auf. Ich drehe die, … oh, nein, geht ja gar nicht. Das sind ja gar keine normalen Schrauben. Wie normale Schlitzschrauben, nur, dass der Schlitz in der Mitte mit einer kleinen Brücke verschlossen ist. Natürlich probiere ich erstmal mit einem klitzekleinen Schraubenzieherchen, ob ich es nicht doch irgendwie gefummelt kriege. Aber nach dem zweiten Abrutschen und haarscharfem Vermeiden einer lebensbedrohlichen Stichwunde sehe ich ein, dass ich ein passendes Werkzeug brauche. Zum Glück haben meine beiden Nachbarn nicht nur sowas von keine zwei linken Hände, sondern auch jede Menge Werkzeug. Und das ist, im Unterschied zu meinem, auch noch so geordnet, dass sie es auf Anhieb finden.
Wieder zurück, schraube ich mit diesem Wunderding die Steckdosenleiste tatsächlich auf. Dabei bete ich, dass die Kabel drinnen verschraubt sind. Bitte, lieber Gott, (in extremen Situation bin ich deutlich gläubiger als sonst), lass sie nicht gelötet sein.  Ich bleibe unerhört, was verständlich ist bei meiner Vorgeschichte. Die Kabel sind gelötet.
Glaub bloß nicht, dass ich jetzt aufgebe, Leiste! Ich hole den Lötkolben und schaffe tatsächlich, die beiden stromführenden Leitungen ohne größere Kollateralschäden abzulöten. Ich fummele das Kabel von unten hoch zum obersten Regalbrett. Dort löte ich, über den halben Schreibtisch hinweg ins Kabelgewölbe hineingebeugt, die Leitungen wieder an. Das geht besser, als ich dachte. Viel länger hätte mein Rücken diese Haltung aber auch nicht goutiert.
Als ich die Werkzeuge hole, um die Leiste wieder zusammen zu schrauben, fällt mir auf, dass ein Bauteil, das an der Seite festgeschraubt wird, sich noch liebevoll an den Stecker im Untergeschoss schmiegt. Es muss aber nach oben und passt auch nicht durch den Wand-Regalschlitz. Also löse ich die Lötstellen wieder, puhle das Kabel aus dem Kellergewölbe und will das Bauteil ans obere Ende des Kabels schieben. Dabei fällt es auseinander. Dass es nur zusammengesteckt war, hatte ich nicht gesehen. Ich hätte also die Lötstellen nicht lösen müssen.
Selbst die zweite Lötaktion funktioniert gut, obwohl schon unter starker nervlicher Belastung.
Das Zusammenschrauben auch. Das Besteckern der Leiste auch.
Guten Mutes gehe ich zum Schalter und freue mich schon auf das lustige Aufblinzeln der diversen Kontrollleuchten.
Nichts. Nochmal schalten. Nichts.
Ja wie?
Neue Leiste auch kaputt?
Schmerzhafte Einsicht: Schalter kaputt. Jetzt bin ich schon im Zustand tiefer Selbstzerfleischung.
Ich baue ihn auseinander und sehe, dass die Idee richtig ist. Ich finde einen Lichtschalter, den ich nie brauche, baue ihn aus und schließe ihn an dieser Stelle an.
Passt. Funktioniert.

Meine Freude ist, sagen wir: Gedämpft.
Ich muss dringend meine rechte Gehirnhälfte trainieren.