Döner Bude

Der kleine Mann im Ohr ist umgezogen. Er wohnt jetzt tiefer unten, in meiner Leiste, da, wo meine Seele wohnt. Das Gehirn hat Eigenbedarf geltend gemacht. Zuviel für einen kleinen Kopf wie meinen.
Z.B. diese Szene:
Wie schon des öfteren gehe ich nach dem VHS-Kurs in die Döner-Bude um die Ecke. Man kennt mich, begrüßt mich überaus herzlich. Die Männer, die hier arbeiten, sind nach neuester Post-Köln-Bahnhof-Silvester-Diktion „nordafrikanisch aussehende Männer“. Sie sind supernett. Auch ihre Sprache. Ein leicht zur Seite geneigter Kopf: “ ‚Sch bringe Tisch“. Dazu eine einladende Geste mit der Hand, die mich ins Innere des Ladens schickt. Ich sitze direkt unterhalb des Fernsehers, der hier immer an ist. N 24. Es läuft eine Reportage über Ressentiments gegen Ausländer. Traurige, gebrochene Menschen faseln in breitem Sächsisch das Übliche. Ich frage mich, ob Journalisten gerne die besonders bräsig Sächselnden, besonders Miesepetrigen, besonders Blassen auswählen, wenn sie sich auf die Suche nach Interview-Partnern begeben. Oder gerade die auswählen beim Schnitt des Beitrages. Es sollen ja die richtigen Emos rüberkommen.
Mein Döner kommt rüber. „Lass es Dir schmecken!“. Diese Botschaft kommt zu mir, aber ich weiß, jetzt in der Erinnerung, gar nicht mehr, wie. Gesagt? Gezeigt? Beides? Oder nur die Augen? Egal.
Im Hintergrund sitzt eine Gruppe junge Männer. Sie lachen viel. Handy’s kreisen. Wahrscheinlich lustige Videos. Sprachgemisch.
Am Tisch neben mir ebenfalls zwei junge Männer. Sie unterhalten sich in geschliffenen Formulierungen über irgendeine Maschinenbau-Klausur.
Direkt neben der Theke das Döner-Buden-Faktotum: Eine älterer Mann, kurz vor Obdachlosen-Look, Flasche Bier in der Hand. Ab und zu eine kurz gebellte Konversation zu denen, die da hinter der Theke arbeiten. Die reagieren knapp, aber freundlich. Und weiter geht’s.
Wieder ein paar Bissen weiter schaue ich nochmal hoch zu N24. Inzwischen hat der Beitrag gewechselt. Eine wackelige Kamera folgt einem gewissen Herrn Beckenbauer. Regnerisches bergisches Ambiente. Schweiz? Er trägt eine dieser eng geschnittenen besonders grünen oder blauen oder roten Daunenjacken, die man heute trägt. Und eine Jogginghose. Freizeitlook. Und hat eine Tüte in der Hand. Brötchen? Ernsthaft? Holt Herr Beckenbauer eigenhändig Brötchen? Herr Beckenbauer hastet zu einem ziemlich teuer und ziemlich groß aussehenden Audi. A 10? Gibt’s sowas? Kamera hinterher. Journalisten-Stimme aus dem Off hinterher. „Herr Beckenbauer! Wir würden gerne etwas von Ihnen über die dubiosen 6,7 FiFa-Millionen…“ „Joo, äh, hem, hm“, – Kopfschütteln, Auto auf, weg.
Kauend male ich mir aus, was man mit 6,7 Millionen alles anstellen könnte. Wieviel würde es kosten, in einer mittleren Kleinstadt allen geflüchteten Menschen ein Jahr lang in Kleinstgruppen jeden Morgen 4 Stunden professionellen Deutschunterricht zukommen zu lassen? Weil ich dauernd Gefahr laufe, dass mir Knoblauchsoße auf den Schal (scheiße,  warum ist das hier immer so saukalt ?!) tropft, kann ich mich nicht auf die Rechnung konzentrieren und gebe irgendwann auf.
Lecker satt stapfe ich zur Theke zum Bezahlen. Neben mir steht eine Frau mit einem kleinen Jungen. Beide wirken blass, verfroren, müde und trotzdem spürt man ein bisschen Vorfreude auf’s Essen. Satt werden. Nicht selber kochen müssen. Der Junge weiß nicht recht, ob sein Hunger für einen ganzen Dönner reicht. Sie lässt ihm Zeit.
Ich zahle inzwischen. Beim Gehen der übliche Dialog:
„Tschüüüss, schönabbend!“ „Tschüss, Ihnen auch. Und gute Geschäfte!“ Kurzer Austausch von Blicken. Lächeln.