Trumpism

Die CSU verabschiedet im Zusammenhang mit einer Klausurtagung ein Grundsatzpapier. Darin Aussagen zur „Flüchtlingsproblematik“. „Obergrenze, Obergrenze, Obergrenze“. „Vorrang für Zuwanderer aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis“, „Konsequente Rückführung“, „Burkaverbot“, „Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft“.

Ist das jetzt noch ein, wenn auch auf krude Art, an der realen Gestaltung von wirklichem gesellschaftlichem Leben, orientiertes Denken? Oder ist das schon Trumpism? Auch als CSU-Politiker/-in kann man doch nicht so dumm sein, zu denken, all das wäre realisierbar, wenn man schon so verrückt ist, es als wünschenswert anzusehen.
Denn:
Wie genau hätte man sich die Obergrenze vorzustellen? Dass ein bayrischer Grenzbeamter einer Familie mit zerschlissenen Taschen, in denen nur noch das Allernötigste ist, in schlechtem Englisch, das die Verzweifelten vielleicht auch nicht verstehen, und das er dann mit hektischem Armrudern untermalt, mitteilt: „Du, Wannhandretneintieneinßausendwannhandredneintiäit, du 199199, und du 200000. Er sieht die ratlosen Gesichter. Malt die Zahlen auf die Rückseite seines Notizbuches. Mehr geht nicht. Die restlichen zwei zurück. Wer wären die dann? Zwei der Kinder? Die Eltern? Oder Vater und ältester Sohn?
Vorrang für Zuwanderer aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis. Wer wäre das? Flüchtlinge aus Italien? Vor was würden die flüchten? Oder aus der Ukraine? Dürften sie bleiben, auch wenn sich herausstellt, dass sie Moslems sind? Weil sie ja geografisch aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis kommen?
„Konsequente Rückführung“? Die gibt es schon. Wenn der Asylantrag abgelehnt ist oder eine Person kriminell geworden ist. Nur ist selbst das eben nicht so einfach, weil es internationales Recht gibt. Und es ist gut so. Denn wohin sollte man Menschen ausfliegen, die vielleicht keine Papiere haben, warum auch immer, und deren Herkunftsländer dann die Einreise ablehnen? Riesige Lager auf nicht-territorialem Niemandsland entlang der Grenzen des christlich-abendländischen Kulturkreises? Bewacht von Frontex? Mit Waffen am Ende?
„Burka-Verbot“? Gibt es Frauen, die im Alltag in Deutschland Burka tragen? Sind es so viele, dass das überhaupt als Problem erkennbar ist, wenn es denn eins wäre? Was sagen die Geschäftsführer der Münchener Edel-Boutiquen dazu, die ihre Geschäfte auch für genau diese zahlungskräftige Klientel eingerichtet haben? Was sagt der Bademeister dazu, der dann, wenn er die Frau im Burkini sieht, die Polizei rufen soll. Und was sagt die Polizistin dann? Oder was sagen die Passanten, wenn der Bademeister die Polizei nicht ruft?
Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Da erhält der Malergeselle, der irgendwann die doppelte Staatsbürgerschaft beantragt hatte, weil er sich eben mit beidem identifiziert: Seiner Heimat, dem Land in dem er lebt, und dem Land, aus dem seine Eltern kommen, ein Schreiben: „Sehr geehrter Herr Yilmaz. Nach § X sind sie verpflichtet, eine Ihrer Staatsbürgerschaften wieder abzugeben. Bitte entscheiden Sie binnen einer Frist von 4 Wochen ab Zustellung, welche Sie weiterhin behalten, …“, – oder wird gleich die deutsche aberkannt? Sollten Sie ein ausgewiesener IT-Experte sein, bitten wir um kurzfristige Kontaktaufnahme.“
Was würden das Bundes-Verfassungsgericht und der europäische Gerichtshof zu Beidem sagen?
Erinnert sich noch jemand an die Maut?
Ist sie noch auf dem Weg? Kommt sie? Oder hat man sich auch in der CSU schon davon verabschiedet, eine dumpf dräuende Wahlkampfwaffe mit Namen „Ausländermaut“ auch in die Realität zu übersetzen, weil – was man von Anfang an vermuten durfte – sie eben nicht geht? Oder bauen alle darauf, dass sie nach der nächsten Bundestagswahl eh vom Tisch ist. Ging es bei der Maut um das Realisieren wirklicher Projekte?
Dieses CSU-Papier dokumentiert ein an der realen Gestaltung des wirklichen Lebens interessiertes Denken jedenfalls  nicht. Es ist Trumpism.
Passend dazu Trumpism light: Die „Debatte“, die man kaum so nennen mag, um das „Leitbild“. Warum drängt sich bloß bei mir immer das „d“ dazwischen? Leidbild. „Unsere Werte“, die da leiten sollen, welche sind das? Sind es Demokratie, Menschenwürde, Toleranz, Freiheit? Oder sind es „den Staat bei Steuern bescheißen, wo es irgend geht und gleichzeitig verlangen, dass die öffentliche Verwaltung wie am Schnürchen, am besten noch zu meinen Gunsten funktionert“, „die Freiheit am Hindukusch verteidigen und sie zugleich in den Schulen verkommen lassen“, „langsam fahrende Autos per Lichthupe von der linken Spur zu pesten“, „Tod dem S04-BVB an irgendeine Autobahnbrücke“ zu sprühen, halt eben das, was uns an offenbar das Handeln leitender Kultur tagtäglich so begegnet? Vielleicht auch der alkoholschwangere Männerdunst im bayerischen Bierzelt? Vielleicht auch der erbitterte Kampf gegen die Forensik in der eigenen Stadt, wo doch jeder wissen könnte, dass der weitaus größte Teil der Sexualdelikte im Schutz der Familie geschieht? Die ja sicher auch unter den Leitbild-Schutz fällt.
Es kann bei diesem Leitbild-Geschwätz nicht um das reale Gestalten einer demokratischen Gesellschaft gehen. Es kann nur darum gehen, all den warum auch immer Enttäuschten in ihrem haltlosen Schlingern bei der Suche nach Schuldigen Wort-Nahrung zu geben, die ihren Geist aufpeitscht, aber nicht ernährt. Ich weiß nicht, was ich will, schon gar nicht, was mein Nachbar will, aber ich weiß wenigstens, wer schuld ist daran, dass ich es nicht habe: Die Burka. Der Moslem. Der Afrikaner. Der „Gutmensch“. „Die Lügenpresse“. Wenn so ein Wort erstmal in der Welt ist mit dem Beigeschmack der Schuld, dann wird es diskutiert, zitiert, bestätigt, millionenfach mit scheinbarem Sinn aufgepumpt und darf gemampft werden wie ein wabbeliger Burger. Und wenn es ausgelutscht ist, muss ein neues her, ein schärferes. Z.B. das Wort „Bürgerkrieg“, dass Frauke Petry in den verregneten Himmel raunzt.
Es ist verrückt. Am Ende scheitert womöglich eine Kanzlerin, die nach konkreten Lösungen für unsere gesellschaftliches Leben sucht, daran, dass sie das überhaupt tut. Dass sie pragmatisch und realistisch agiert. Die uns zutraut, dass wir es schaffen. Nicht weil sie zur CDU gehört, sondern weil sie sich dem stinkenden auf-den-Acker-Sabbern von sinnlosem Parolen-Dünger verweigert. Es gibt für mich kaum etwas Abwegigeres als CDU zu wählen, aber heute hatte ich mal (kurz!) das Gefühl, ich könnte bei der nächsten Wahl genau deshalb genau das tun.
Wenn es nun aber um das wirkliche Gestalten der wirklichen Wirklichkeit gar nicht geht. Worum dann? Die Protagonisten der Lauthalsigkeit, … wollen sie tatsächlich einfach nur die Macht erhalten, ohne damit die Vorstellung von Gestaltung zu verbinden? Und warum Macht? Geht es am Ende womöglich darum, sich bedeutsam zu fühlen? Dem großen informationellen Alles, ein kleines Stück Land, ein kleines Stück Wichtigkeit abzugewinnen? Um nicht als informationelles Nichts zu verdunsten? Verkneten sie deshalb vermutete Befindlichkeiten „des Volkes“ zu griffigen Schlagworten, die eine Zeitlang Bedeutsamkeit vorspiegeln? Schieben sie sich deshalb vors Mikrofon oder gegelt und hornbebrillt hinter dem großen Vorsitzenden ins Bild, wenn es heißt, dieses ihr CSU-Grundsatzprogramm zu „erklären“?