coronawoche7

Tag 49

Ich höre in diesen Zeiten häufiger, dass Bill Gates schon seit Jahren vor der Gefahr von Viren für die Gesundheit der Menschen warnt.
Irgendwie naheliegend. Beim Gründer von Microsoft.

Tag 48

Zum ersten Mal seit Wochen eine Umarmung mit innigen Freunden. Einen Moment fühlt es sich so an, als wollten wir nie wieder loslassen.
Und ein bisschen verboten auch.

Tag 47.2

Gießkanne auf einer Brachfläche mit Blumen

Die Liebste und ich stapfen wieder mal mit zwei randvollen Gießkannen zu einem Esskastanien-Baum am Rand unserer Siedlung. Sie ist die Patin dieses Baumes. Wir wollen ihn wässern. Er ist noch jung und kann bei Trockenheit gut etwas Wasser brauchen.
Als wir da sind, streift, wie üblich, mein Blick über die Brachfläche drumherum. Ich muss lächeln. Mir fällt die Szene wieder ein, als unsere Enkelin, auch mit einer kleinen Gießkanne „bewaffnet“, einmal mitging. Sie fand, dass die kleinen Blumen auf dieser Fläche auch Wasser bräuchten, drehte mit ihrer kleinen Gießkanne ab und fing an …

Tag 47.1

Wirtschaftswunder

Unser Käseblättken heute Morgen: Das ganze Titelblatt eine einzige augenbetäubend schreiende Entgleisungs-Metapher:

Ein Schwarz-Weiß-Bild vom Kriegsende 08.05.1945. Verzweifelte, ratlose, müde Menschen dichtgedrängt. Vor allem Frauen. Sie schauen fragend in die Kamera, – der Zukunft entgegen. Wie wir heute wissen: Dem entgegen, was man gerne Wirtschaftswunder nennt. Von 0 auf X.


Darunter dicke Lettern: „NRW startet den Motor“.
Eine irrsinnige Kombination. Die herbeigesehnten „Lockerungen“ als Beginn des Weges heraus aus dem Krieg gegen das Virus.
Ich sehe sofort einen etwas irritierten „Gastarbeiter“ auf einem Foto in ein paar Wochen. Er begleitet den hunderttausendsten VW-Tiguan beim Weg vom Band. Brandneue Euro-7-Technik. Geht wie geschnitten Brot dank der Kaufprämie. Auf dem Foto steckt der Mann gerade ein überdimensionales vierblättriges Kleeblatt hinter den Scheibenwischer. Es war so abgesprochen für’s Foto. Das Foto wird eine Ikone werden. Wie das mit dem Italiener und dem VW-Käfer
Ich bin also Teil eines Motors. Er war in Reparatur. Aber jetzt darf er wieder laufen. Es ist ein Verbrennungsmotor. Er führt uns aus der Stunde 0. Ins Wirtschaftswunder zweipunktnull. Unsere Verunsicherung und Ratlosigkeit haben ein Ende.
Damit wir wissen, was uns antreibt, weiter unten die Kernbotschaften 2 und 3:

2. Die Bundesliga macht weiter. Die Vereine sind gerettet. Die in obszöne Größen gewucherten Gehälter, von denen die Granden im Schnitt sich 30 % abgezwackt haben (von was eigentlich? Vom Jahresgehalt, von Monatsgehältern der Zeit der Untätigkeit?) um dem Verein zu helfen, sind auch gerettet. Die kitschige Scheinspendabilität der Rasenpopstars und der bei Bedarf beschlipsten, sonst gerne sportlich lässigen Bosse zürnt mich noch heute so sehr, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, mein Fandasein zu beenden.

3. Auf der A 1 kann auf einer Brücke bei Hagen jetzt dreispurig gefahren werden. Freie Fahrt für freie Bürger, die auf der Strecke vor der Brücke mit ihrem nagelneuen Wirtschaftswunder 2.0-Tiguan mehrmals im Stau standen, aber auf diesem Stück jetzt Gas geben können. 2022 können sie das dann auf dem Rückweg in der anderen Richtung auch. Dann mit dem Euro-8-Tiguan, für dessen Kauf es dann allerdings leider keine Prämie mehr gibt. Nur noch für Elektroautos, die immer noch nicht so richtig „gehen“.

Tag 46

Inkluencer

In der „Brigitte“ fällt mein Blick auf ein Foto. (Ja, heimlich doch mal reingeguckt …) Darauf eine junge Frau und ein Mann. Beide tragen ein blütenweißes T-Shirt mit der Aufschrift „#Inkluencer“. Sie hocken im Schneidersitz auf dem Boden. Die Frau hat zärtlich den Kopf auf die Schulter des Mannes gelegt. Ganz das schöne Leben, passend zum ‚Style‘ der Beauty-Gazette.
Der Artikel erzählt von einem preisgekrönten Blog einer jungen Frau, deren Bruder Trisomie 21 hat. Sie kämpfe für einen liebevollen Umgang damit. Gegen den Behinderten-Status.
Ich schrecke auf, als in dem Artikel erklärt wird: „Die Aufschrift auf dem T-Shirt ist eine Mischung aus Inklusion und Influencer.“ Für wie doof hält diese Zeitschrift ihre Leser(innen)?

Tag 45

Tourette-Routine

Es nervt. Aber ich will es vor mir selber nicht zugeben. Das Bild zeigt abwechselnd eine Frau, die spricht und einen Mann, der unablässig zuckt und Geräusche von sich gibt. Schnalzen, Miauen, manchmal auch wortähnliche Laute.
So beginnt eine Aufführung von Rimini-Protokoll, die wir anschauen. Obwohl wir wissen, dass an dem Stück Menschen mit Tourette beteiligt sind, fragen wir uns beide angesichts des zuckenden und maunzenden Mannes: Ist das echt? Oder ist es „nur“ „Theater“?
Und wenn es echt ist, ist es dann kein Theater? Wir gestehen uns, dass es nervt. Das hilft durchzuhalten.
Und auch das Szenario stellt die Theater?-Frage. Klar, es ist Theater. Es gibt eine Bühne, es gibt provisorisch schräg aufwärts gebaute Zuschauerränge, es gibt Beleuchtung, es gibt Bühnenarbeiter.
Aber es gibt auch ein großes Tor, durch das schon am Anfang des „Stückes“ ein echtes Auto fährt. Der Raum ist also ebenerdig. Eine überdimensionale Garage. Nur eben nicht verschlossen privat, sondern öffentlich.
Also kein Theaterstück im üblichen Sinne. Obwohl auch das schon falsch ist. Theater ist schon lange nicht mehr nur im ehrwürdigen Plüsch-Theater üblich.
Wir erleben 4 Menschen. Eine Frau, drei Männer. Laut Programmankündigung haben alle drei Männer „Tourette“. Sie haben Ticks. Die Frau ist eine Musikerin, die auch mit-„spielt“, und deren Musik weit mehr ist als Hintergrund. Sie ist Teil der Handlung bis hin zum Lied. „Ein Tick“ Musical, ein „Tick-Musical“.
Irgendwie spielen die Vier nicht. Aber irgendwie doch. Sie erzählen, wie ihr „Stück“ entstanden ist, wie es sich entwickelt hat und was es für sie bedeutet, jetzt hier zu sein. Dabei folgen sie einer Art Choreographie, die verabredet ist, von der sie aber alle auch sagen, dass sie sie jederzeit verlassen können, wenn sie es nicht mehr aushalten. Das sei Teil der Verabredung. Und zum temporären Verlassen laden sie auch die Zuschauer*innen ein, – falls sie es mal nicht mehr aushalten. Warum dann nicht kurz einhalten und rausgehen? Draußen gebe es auch was zu trinken.
Der maunzende, schnalzende Mann am Anfang nervt. Es fällt schwer, der Frau, die redet, zuzuhören. Aber wir halten durch und stellen, als das Stück zu Ende ist und wir eine Weile schweigend dagesessen haben, fest, dass es uns schon nach kurzer Zeit nicht mehr genervt hat.
Die Musikerin ist im Leben jenseits dieser Bühne Musikerin. Auf der Bühne auch. Das gilt auch für die Männer. Auf der Bühne und im „richtigen“? Leben: Altenpfleger (!), Mediengestalter (!), Politiker (ja, Politiker im hessischen Landtag).
Ihr Theater? Echt. Sie zeigen uns ihr Tourette. Und zeigen es sich gegenseitig und sich je selbst. Der eine sagt: Ich hatte Angst, dass ich mir von Euch was abgucke. Einer schreit Arschloch, als ein anderer gerade redet. Und noch mal. Und noch mal. Der, der gerade redet, dreht sich um, maunzt und bellt: Jetzt halt doch mal … . Und die Blicke und die Haltungen der beiden erzählen: Es ist kein Konflikt! Sie sind eben einfach so. Das Problem haben wir. Bzw. in der Phase schon nicht mehr. Wir haben uns ja inzwischen eingehört, eingeguckt.
Natürlich spielen die Liebste und ich anschließend „Tourette“. Miauen, grunzen, furzen, Arschloch was was, Geile Maus. „Spielen“ meint: Wir probieren aus. Tasten uns in das Gefühl. Natürlich auch „Spielen“ im Sinne von „Blodsinn machen“, Laut-Verkleidung, Ungehorsam sein, Konvention brechen. Eigentlich der ganze lustige Ernst von Kinderspiel.
Immer mehr fange ich dabei an mich zu fragen, ob meine Kommunikationskonventionen überhaupt so weit weg sind von Tourette. Ganz im Ernst. Ob nicht viel von dem, was ich tue und sage, auch nur kleinen synaptischen Eruptionen geschuldet ist und mit einer gewissen Mechanik einfach rauspoltert.
Ich taste mich weiter. Wie oft fange ich Entgegnungen in Geprächen, selbst wenn sie gar nicht als Widerspruch „gedacht“ sind, mit „Aber“ an? Wie oft ende ich mit „verstehst du“? Wie oft beginne ich einen Satz, die oder der andere redet aber noch weiter, ich grätsche dazwischen mit demselben Satzanfang, die oder der andere redet aber noch weiter, wieder mein Satzanfang, – das Ganze dreiviermal. Bis ich dann den ursprünglich gesagt gewollten Satz beende. Als hätte es den Satz meines Gegenübers gar nicht gegeben. Wie oft bohre ich in der Nase, obwohl da gar kein Popel rauswill? Wieviele von meinen Kommunikations-Häppchen sind einfach nur synaptische oder körperliche Zuckungen. Wieviel ist einfach sinnlose Mechanik, die nur kultivierter daherkommt? Oder besser: Sinnvolle Mechanik, deren Sinn aber nicht den Ursprung hat, den er vorgibt zu haben, sondern einen anderen, vegetativen, emotionalen. Einen Ursprung, der einen tieferen Sinn hat.
Und das, was ich als Kommunikation sehe und höre. Wieviel davon einfach nur „Tourette“? Kleine Ausbrüche, deren Bedeutung ganz anders entsteht als durch das, was wir „Denken“ nennen?
Und auch das macht Spaß. Theaterspaß. Möglicherweise ist „fake“, das Lieblingswort eines bekannten Präsidenten, gar nicht der Ausdruck irgendeines kruden Versuches, Sinn zu kommunizieren, sondern einfach nur der Nähe zu „fuck“ geschuldet, die irgendeinen Impuls im Großhirn auslöst, der dann bellt: Raus damit. Spaß am Provozieren, einfach nur der Klang, Kreation von Absolutheit. Was weiß ich!
Wieviel Tourette ist in „Shutdown“, „Lockerung“, „Test“, „Abstand“, „Tröpfchen-Infektion“, „Rachen“, „Covid“, Zippeln an der Mundschutzmaske, Husten, Wegdrehen?
Was soll das ganze Theater, das vorgibt keins zu sein?
Wieviel Tourette ist in den aktuellen neuen Routinen, die vorgeben, Vernunft zu sein.
Neue Welten tun sich auf.
Der Idealfall von Theater. Theater der Tourette-Routinen.

Tag 44

Zettel mit Notizen zu einem Song

Aus unzähligen Zetteln mit Notizen und Ideen ist ein Lied geworden:

Tag 43

Unverfrorene Verachtung der Welt

Zwei Nachrichten ganz weit weg von einander und doch irgendwie zueinander passend:

Die Bosse der großen Autokonzerne fordern im Wohlgefühl des Schlüsselindustrie-Vorzugs-Status 3000 € staatlichen Zuschuss für Käufer*innen eines neuen Autos mit Verbrennungsmotor nach Euro-6-Norm. Die Bosse genau der Konzerne, die vor kurzer Zeit noch die ganze Welt betrogen haben bezogen auf eben diese Norm. Und die im Moment angesichts von Corona überlegen, ob nicht als „letztes Mittel“ irgendwann theoretisch eventuell notfalls doch auch über eine Kürzung von Dividenden und Boni nachgedacht werden könnte. Ich weiß nicht, ob „Unverfrorenheit“ dafür noch der richtige Begriff ist.

Die Regierung in Nepal hat eine Putzaktion wegen Corona vorläufig abgesagt. Der Mount Everest sollte gereinigt werden. Von tonnenweise Müll, den Mount-Everest-„Eroberer“ dort hinterlassen haben. Und auch von dem einen oder anderen „Eroberer“-Rest, der die Tour nicht überlebt hat und liegen blieb, weil er an einer schwer erreichbaren Stelle liegt.
Ich weiß nicht, ob „abgrundtiefe Verachtung der Welt“ für das Vermüllen eines Gebietes, in das man doch geht, um die Erhabenheit der Natur zu erleben, noch der richtige Begriff ist.