sechsundzwanzig

Entsorung der alten Pantoffeln

Irgendwann erlischt auch der legendäre Langmut der Liebsten: Sie beschwert sich, dass meine Pantoffeln stinken.
Also nehme ich noch `ne Nase und dann schmeiße ich sie weg.
Jetzt bin ich wieder Pantoffelheld.

Ich will mich ja nicht mehr empören.
Also wundere ich mich nur. Ist schwer, aber geht.

Wie man in dieser Woche Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung entnehmen konnte, haben Apotheken die FFP2 Masken, die im Dezember 2020 und im Januar und Februar 2021 „kostenlos“ an die Bevölkerung ausgegeben wurden, im Schnitt für 1,50 € pro Stück erworben. Der Bund, der die Aktion bezahlte, hat mit 6,- € kalkuliert. Die Apotheken haben also das Vierfache je Maske erhalten. Der Preis einer Maske lag also 300 % über dem Einkaufspreis.

Vier Schlüsse daraus und zwei Fragen:

  1. Da „der Bund“ von den Bürger:innen finanziert wird, haben die Bürger:innen letztlich für die Masken pro Stück 6 € bezahlt, sie also nicht kostenlos bekommen.
  2. Der „Bund“, also die Bürger:innen, haben den Apotheken damit zusätzlich erheblichen Gewinn bezahlt.
  3. Das Ministerium für Wirtschaft und Energie gibt eine Empfehlung heraus, nach der Einzelhändler Preise berechnen können. Folgte man dieser Empfehlung, käme man je Maske auf einen Verkaufspreis von 2,92 €.Und zwar so:
    Einkaufspreis:                 1,50 €
    Versand/Lieferung:       + 10 %
    = 1,65 €
    Handlungskosten          + 35 %
    = 2, 23 €
    Gewinnaufschlag           + 10 %
    = 2,45 €
    Umsatzsteuer                 + 19 %
    = 2,92 €
    Der tatsächliche Gewinnaufschlag betrug also: 105 %. Oder: Das Zehnfache des vom Ministerium empfohlenen Gewinnaufschlages.
  4. Die Provisionen und Vertragshonorare, die sicherlich auch für diese Geschäfte bezahlt wurden, haben auch die Bürger:innen bezahlt (s. 1.)

Frage: Die Öffentlichkeit erregt sich zu Recht über die persönliche Bereicherung von Politikern an Maskengeschäften. Die Bereicherung von Apotheker:innen hat der Bund, haben also die Bürger:innen, bezahlt. Die Apotheken haben mitgespielt. Warum empören sich die Politiker, die sich aktuell über ihre Kollegen empören, nicht mit vergleichbarer Wucht wegen der Bereicherung, die sich Apotheker:innen gönnen?

Frage: Wenn sie sich deshalb nicht empören, weil das in unserem Land eben ein normales Geschäft ist., – was heißt das dann für uns Bürger:innen?

Nicht empören

Nüßlein, Löbel, Amthor, Hauptmann, Sauter …

Nein! Nein! Nein!
Ich will mich nicht empören!
Aber es will mir nicht gelingen.
Zu viele unwillkürlich aufbebende Zornes-Herde im Gemüt.

Zorn über „Nebenverdienste“ von Bundestagsabgeordneten.
Herr Nüßlein hat möglicherweise 660 000 € für die Vermittlung von Masken- und Schutzkleidungsgeschäften erhalten. Ein ähnliches Geschäft bei Herrn Löbel. Für 250 000 €. Ist es nur eine zornesbedingte Vermutung? Oder ist es eine realistische Hochrechnung, davon auszugehen, dass diese Beiden nicht die einzigen sind, die ihre Kontakte nutzen, um gegen Provision Geschäfte anzuschieben?

Zorn über die Erklärungen, die diese Menschen  abgeben, wenn sie geächtet werden. Darüber, dass sie sich selbst dann als Opfer darstellen, die sich nichts vorzuwerfen haben und nur deshalb zurücktreten, weil die Angriffe auf sie und ihre Familien unerträglich geworden seien und weil sie weiteren Schaden von der Partei abwenden wollten.

Zorn über leitende Politiker, die solche Affären im liebsten im „Vorfeld“ „abräumen“ oder sie, wenn das nicht mehr geht, zumindest zügig „bereinigen“ möchten.

Zorn über leitende Politiker, die, wenn auch das nicht mehr geht, eine „Ehrenerklärung“ aller Abgeordneten ihrer Fraktion anregen. Der Begriff „Ehrenerklärung“ aber ist schlicht falsch gewählt. Eine Ehrenerklärung kann nur jemand anders für mich abgeben. Nicht ich selbst für mich. Auch nicht als Abgeordneter. Ich kann bestenfalls schwören, unschuldig zu sein und dabei schlimmstenfalls lügen. Wenn ich nicht gelogen habe, müssten schon andere meine Ehre erklären, damit es glaubwürdig ist. Interessant wären die fälschlicherweise „Ehren…“ genannten …erklärungen erst dann, wenn man die Wortlaute kennen würde, auf dass man zwischen den Zeilen lesen könnte, denn da steht das ungedruckte Kleingedruckte. Wenn es zusätzlich eine öffentliche Überprüfung der Vollständigkeit gäbe und eine Information darüber, was denn passieren würde, wenn jemand diese Erklärung nicht abgäbe bzw. eine Information darüber, was passieren würde, wenn sich die Erklärung im Nachhinein als falsch erweisen würde. Das aber gibt es nicht. Heißt: Der (falsch gewählte) Begriff der Ehrenerklärung erweckt den Eindruck, als sei das fade Reinwaschungstheater ein Akt rechtssicherer Würde.

Zorn über leitende Politiker, die tatsächlich glauben, dass all die Menschen, die sich angesichts solcher Vorgänge mindestens erschrecken, eher Zorn spüren oder gar in querdenkenden oder rechtspopulistischen Generalverdacht gegen „das Establishment“ taumeln, sich von solchem Tun überzeugen lassen.

Zorn über leitende Politiker, die Menschen, die so agieren, erfolgreich werden lassen, sie gar fördern.

Zorn über leitende Politiker, die, wenn dann doch den protegierten Aufsteiger:innen Fehlverhalten nachgewiesen wird, sich entrüsten, die Schuldigen rügen, sie vielleicht sogar aus dem Sattel schubsen, um ihnen nach angemessener Karenzzeit wieder in denselben hineinzuhelfen. Wie anders ist zu erklären, dass der gescholtene Herr Amthor ein halbes Jahr nach seinem spektakulären Absturz Spitzenkandidat der CDU in Mecklenburg-Vorpommern für den Bundestagswahlkampf wird?

Zorn darüber, dass Menschen Politiker: innen von solcher Art immer wieder auf’s Neue in so großer Zahl wählen, dass diese Einfluss gewinnen.

Zorn über die mediale Choreographie, mit Hilfe derer wir „Menschen draußen im Lande“ uns letztlich von unserer eigenen Verantwortung entlasten. Eine Choreographie in 5 Akten: 1. Das Aufdecken 2. Das Benennen von Schuldigen 3. Das Empören 4. Das Fordern von Konsequenzen, 5. Das Vergessen. Wir „draußen im Lande“ wallen auf und schließlich einfach wieder ab. Folgenlos.

Zorn über mich selbst, der ich Lust verspüre, mit wortschöpferischer Sprachkunst all dem entgegenzutreten. Die Misere zu nutzen, um so zu tun, als könnte ich Durchblicker solchem Handeln mit spitzer Feder Paroli bieten. Dabei weiß ich doch, dass es nicht nur nicht geht. Weit schlimmer: Mit wissender Pose dagegen an zu schreiben oder zu moderieren oder zu kabarettisieren, ist nur Teil des Spiels. Es schiebt das Aufregen an. Das Aufregen finanziert Medien. Es bewirkt aber keine Veränderung. Denn am Ende der Aufregung beruhigen wir uns wieder und vergessen bei der Suche nach neuer Aufregung.

Ich will da nicht mitspielen. Ich will mich nicht mit Empörung entlasten. Ich will tatsächliche Veränderung. Eine, die mich selber einschließt.

An dem Punkt entsteht eigentümliche, dunkle Leere.
Ich versuche mich, an die Dunkelheit zu gewöhnen. Ich schaue mich um. Ganz langsam steigen furchtsame Schauder des Grusels auf. Die Leere ist nicht leer. Die Schatten finsterer Gestalten geistern durch die fahlen Reste von Licht. Ich schaue weg und wieder hin. Langsam schärfen sich Gesichtszüge.
Ich erschaudere.
Verängstigt ahnend schaue ich mir noch einmal ein Foto von Herrn Nüßlein an. Und eines von Herrn Amthor. Und plötzlich weiß ich, wer diese Gestalten sind: Wiedergänger von Bernhard Vogel. Sie sind Bernhard Vogel. Einst Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, dann – 1988 – nach einer Reihe  von Skandalen, Verwicklungen der CDU in Vetternwirtschaft und Günstlingskultur, gepaart mit auch für Parteifreunde kaum noch erträglicher Selbstherrlichkeit, geschasst. Wiederauferstanden als Ministerpräsident von Thüringen.
Wiedergänger von Bernhard Vogel, der sich in ihrer Gestalt jetzt für erlittenes Unheil rächen will.
Als langjähriger Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken dürfte er genügend Einfluss nach ganz, ganz oben gehabt haben, um das Wiedergängertum schon vor seinem Ableben einzufädeln. So bekommt er die ausgelöste Unruhe nicht nur aus der Ferne mit, aus dem Jenseits, sondern leibhaftig vor Ort.

Ursprünglich hatte er nur Nüßlein ausersehen.

Porträts Vogel Nüßlein

Doch bei der Verwandlung geriet irgendwie auch Philipp Amthor dazwischen.

Porträt Philipp Amthor

Und nun ist er beide.
Zwei mehr als gute Gründe, furchtsam zu sein.

 

 

 

Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.
Die CDU verliert sehr stark an Zuspruch.
„Meine Tageszeitung“ titelt:

Schlagzeile nach LandtagswahlenEhm, – wie jetzt? – sind schwarze Tage für die CDU nicht gute Tage?

22. November 2020

Ich weiß das Datum. Es steht auf einem Notizzettel auf meinem Schreibtisch. Weil es ein bemerkenswertes Datum ist.
Schon oft habe ich Musik geträumt. Sie war im Traum immer sehr gegenwärtig. Und manchmal war es wundervolle Musik, die so außergewöhnlich war, dass sie einfach jede*n betörte.
Wenn ich dann aufwachte, versuchte ich mich immer an diese betörende Musik zu erinnern und musste feststellen: Ich hatte wohl die Außerwöhnlichkeit selbst geträumt, das Betörende.
Nicht aber die Musik.

In anderen Nächten träumte ich tatsächlich wunderbare Musik, an die ich mich nach dem Aufwachen erinnern konnte. Wenn aber ich mir die Töne dann zusammensuchte, musste ich feststellen, die Melodie, die sie ergaben, war nichtssagend und leer.

Dieses Mal aber behielt die Melodie, die ich geträumt hatte, ihren Charakter auch, als ich die Töne am Morgen zusammensuchte und aufschrieb.

 

Sie wollte unbedingt weiterwachsen. Ich stellte dem Melodie-Fragment Akkorde zur Seite.

 

Aus dem frischen jungen Trieb wurde ein kleines Pflänzchen.

 

Und es gedieht weiter. Zum ersten Mal schrieb ich ein Instrumentalstück.
Erst am 15. Januar 2021 war es dann fertig.

Und erst jetzt kann ich es so spielen, dass ich mich nicht mehr krampfhaft konzentrieren muss, sondern es genießen kann.
Ich möchte es aufnehmen.
Da drängelt sich das braune Gefindel  vor. Es will mitmachen. Jetzt, wo es doch in den Status der Kunst aufgestiegen sei, argumentiert es.
Hm, … denke ich. Stimmt ja irgendwie. Also, was soll’s. Macht es eben mit.

 

[Wer möchte, findet hier eine Aufnahme ohne braunes Gefindel (heimlich gemacht, natürlich), und hier die Noten .]