zweiundzwanzig

Was vom Leben übrigblieb

Vogelsskelett im Nest

Opa Helmuts alte Hacke

alte Hacke von Opa

Bei der Umgestaltung unseres Gartens mühe ich mich ab mit dem Entfernen bzw. Auflockern alter, vertrockneter, steinharter Grasnarben. Der Stiel unserer Harke, die ich immer wieder mit Wucht in den Boden rammen muss, bricht schon nach kurzer Zeit durch. Jetzt habe ich nur noch eine Wahl: Opa Helmuts uralte Hacke. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie länger hält.
Immer wieder bohren sich die drei Zacken in das stramme Graswurzelwerk. Zentimeter für Zentimeter arbeite ich mich weiter. Schnell ist anders. Ab und zu schaue ich mich um, wieviel ich noch muss. Meine Laune im Sinkflug. Innerlich knurre und schimpfe und fluche ich. Und beklage meine schwieligen Hände.
Einmal halte ich inne. Ich muss mich ausruhen. Endlich nehme ich mir die Zeit, dieses Ding genauer anzusehen. Die Phantasie kommt in Gang.
Etwas in mir sagt: „Die junge Bäuerin in, sagen wir: Äthiopien, die vornübergebeugt, das Baby auf den Rücken gebunden, in sengender Hitze, den kargen, steinigen Boden aufreißt, bangend, ob der Samen, den sie hier nach stundenlangem Kraftakt verteilen wird, irgendwann zu Nahrung wird, – diese Bäuerin würde tanzend und singend jubilieren, wenn sie Opa Helmuts Hacke mit diesem paradiesisch langen Stil hätte und nicht nur den rostigen Haken mit einem gerade mal handbreit kurzen Holzgriff. Also hör auf zu jammern! Und freu Dich! Und jetzt mach weiter!“
Es hilft enorm.
Ich phantasiere, wie peinlich es mir wäre, dieses alte Ding der Bäuerin zu schenken. Ein schönes Neues wäre doch besser.
Nur: Opa Helmuts Hacke hält bis zum Schluss.

Wackelkandidaten

Radweg. Ich bin auf dem Weg nach Hause. Kurz zucke ich zusammen, als ich hinter mir eine gut gelaunt glockige Fahrradbimmel höre. Ich muss grinsen. Im Auto ist es selbstverständlich, dass ich hinter mir andere Verkehrsteilnehmer auf der Rechnung habe. Auf dem Fahrrad nicht. Jedes Mal erschrecke ich wieder neu, wenn sich dann doch einer meldet. Da will mich jemand überholen. Muss ziemlich schnell sein. Ich drömmel ja nicht gerade. Ich drücke mich ganz rechts an den weißen Streifen, der den Radweg vom Bürgersteig trennt und bin gespannt, was da gleich an mir vorbei eilt. Plötzlich wieder das glockige Drängeln. Ui, das muss was Breiteres sein. Vielleicht eins dieser flachen Dreiräder, von denen man hinter parkenden Autos nur das Fähnchen sieht? Gut, – dann über den weißen Streifen und auf die Gehfläche. Ist ja gerade keiner.
„Können wir mal eben vorbei?“, flötet eine Oma und schon rauschen sie und Opa auf E-Bikes an mir vorbei. Während ich ihnen hinterher schaue, denke ich, der Ausdruck „sie fahren Rad“ wäre hier unpassend. Richtiger wäre: „Das Rad fährt sie“.
Bald darauf eine Ampel. Hier will ich die Hauptstraße überqueren. Die Beiden offenbar auch. Als ich gerade ankomme, springt die Ampel auf Grün.
Oma beginnt aufzusteigen. Opa auch. Beide kämpfen mit dem Aufwärts-/Vorwärts-Balanceakt. Ihm gelingt es. Ihr nicht. Auf der Hälfte der Fahrbahn wackelt sie bedenklich. Er nimmt Fahrt auf. Sie will die Aktion abbrechen, kann aber auch nicht einfach vom Rad springen. Er hält auf sie zu. Kurz bevor er in sie hineinkracht, lügt er sich mit einem irgendwie zufällig gelingenden Seitschwung vorbei. Dabei schnauzt er : „Was störst du denn?!? Ja!!“
Und zieht von dannen.
Sie versucht sich selbst, bedenklich zur Seite geneigt, schrapphüpfig mit einem Fuß zum Stehen zu bringen. Ich bin sicher, dass sie stürzen wird und bleibe hinter ihr.
Zum Glück stürzt sie nicht.
Auf der Verkehrsinsel zwischen den Fahrbahnen versucht sie es erneut. Die Ampel ist inzwischen auf Rot gesprungen. Wieder kämpft sie mit dem Gleichgewicht. Wieder bleibe ich lieber hinter ihr. Aber sie schafft es, obwohl die Linkskurve nach der Ampel ihre Oberarme und ihren Balance suchenden Oberkörper noch einmal schwer herausfordert.
Ich meine, ihre Erleichterung von hinten sehen zu können, als sie davonrauscht.
Meine spüre ich.
Doch nur kurz. Dann neue Aufregung. Sie wird doch nicht!?!
Doch, – sie tut es. Ohne abzubremsen biegt sie scharf nach rechts auf einen abschüssigen Weg, dessen Fahrbahn aus Split auf gepresstem Sand besteht. In meiner Vorstellung rutscht jetzt jeden Moment das Fahrrad unter ihr zu Seite.
Aber auch das geht gut.
Als ich die Stelle erreiche und auch abbiege, kann ich beide schon nicht mehr sehen.
Hoffentlich passen sie gut auf.
Die Anderen. Die, die Oma und Opa begegnen.

Wirtschaftsweisheit

Professor Lars Feld. Er wird „Einer der Wirtschaftsweisen“ genannt. Und er beklagt einen drohenden Wachstumseinbruch durch ein Lieferkettengesetz, das zumindest in Ansätzen und bei Betrieben über 500 Mitarbeitern ein Mindestmaß an ökologischen und sozialen Standards bei Zulieferern aus anderen Ländern sicherstellen soll. (vgl. https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/wirtschaftsweiser-lieferkettengesetz-schadet-der-wirtschaft-16922361.html)
Der Entwurf dieses Gesetzes ist eine Kooperation von zwei Ministern, einem von der CDU, einem von der SPD. Professor Feld argumentiert, dass mit einem solchen Gesetz das Wachstums-Potential der deutschen Wirtschaft bedroht wäre.
„Weise“ zu sein, so dachte ich immer, würde auch bedeuten, dass Mitgefühl und Mitmenschlichkeit zum Kern des eigenen Denkens gehören. Ebenso wie die Bereitschaft, Denk-Routinen und traditionelle Logik immer wieder in Frage zu stellen. Erst recht dann, wenn diese Denkroutinen zu weltweit bedrohlichen Gefahren sich verwirklichen. Und es bedeutet auch, so dachte ich immer, aufmerksam zu sein für substantielle Widersprüche im eigenen Denken. Und ist es nicht ein Widerspruch, politische Verhältnisse im eigenen Land und auf der Welt zum wirtschaftlichen Fortschritt zu nutzen, – ja – auch den Versuch zu machen, diese politischen Verhältnisse mittels Lobby-Arbeit in diesem Sinn zu beeinflussen, und sich dann bei einem solchen Gesetzentwurf auf den Standpunkt zurückzuziehen, Ökologie und Menschenrechte seien eine Sache des Staates und nicht der Wirtschaft?
Er mag weiter forsch an Denkroutinen des Wirtschaftswachstums festhalten. Aber man nenne ihn doch bitte nicht „weise“.

Hingucker

Jugendliche über Handy gebeugt

Wer soll von wem vor was geschützt werden?

Spielende Kinder in einem Käfig